52 Verführungen: Ein Paar holt sich die Lust zurück - (German Edition)
deshalb für selbstbewusst. Weit gefehlt. Ich leide im Gegensatz zu ihnen bloß schweigend. Seit wir mit den Verführungen begonnen haben, scheint jedoch eine Art Waffenstillstand zwischen mir und meinem Körper zu herrschen. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit ist mir klar geworden, dass ich in Herberts Augen begehrenswert bin. Obwohl mein Selbstwertgefühl natürlich nicht von seiner Meinung abhängen sollte, hat mir das doch enormen Auftrieb gegeben.
Beim Sex geht es doch darum, sich voll und ganz von unserer verruchten, lebenshungrigen, sorglosen Seite zu zeigen. Die Menschen, die wir begehren, sind schön. Deshalb fühle ich mich, seit ich meinen vernachlässigten Sexappeal wieder unterstreiche, so attraktiv wie lange nicht mehr.
Diese Erkenntnis hielt mich trotzdem nicht davon ab, doch lieber meine Kontaktlinsen rauszunehmen, bevor wir vor dem Spiegel loslegten. Aber auch die verschwommenen Bewegungen
im Spiegel brachten mir in Erinnerung, wie gern Männer sehen, was beim Sex vor sich geht. Ich persönlich habe dabei die Augen die meiste Zeit über geschlossen und tauche so in meine eigene Welt ein, doch Herbert mag es, alles von innen wie von außen zu sehen. Er kennt mich aus praktisch jeder Perspektive, was sollte ich also noch vor ihm verbergen? Glaube ich wirklich, er wüsste inzwischen nicht, wie meine Vulva aussieht? Mein Gehirn tut sich noch schwer damit, dies zu akzeptieren, aber für Herbert ist der Sex wirklich besser, wenn er uns auf diese Weise beobachten kann. Egal, ob ich meinen Körper nun mag oder nicht.
Das Ganze erinnert mich aber noch an etwas anderes: Ich war neunzehn, als Herbert mich vor den Spiegel zog, während wir uns in meiner Studentenbude liebten. Mir fällt wieder ein, wie ich meinen Gesichtsausdruck studierte, der zwischen Verlegenheit, Verwirrung und Erkennen changierte. Und ich sah meine Haut, die so hell von Herberts olivfarbenem Teint abstach. »Da«, sagte er, »siehst du, wie schön du bist, wenn du erregt bist?«
All meinen inneren Widerständen zum Trotz musste ich ihm zustimmen.
Man sagt ja, dass das Leben uns von Zeit zu Zeit übel mitspielt.
In meinen Augen ist das allerdings eine ziemlich unvernünftige Einstellung: Ich stelle mir »das Leben« nicht als
handelnde Person mit bösen Absichten vor. Für mich ist Leben eher eine passive Kraft, die einfach da ist und einem im Weg stehen kann, während man versucht, zurechtzukommen. Deshalb würde ich auch eine andere Metapher vorziehen: Von Zeit zu Zeit knallt man mit dem Kopf gegen die Barriere zwischen den eigenen Absichten und der Realität.
Damit dieser Vergleich funktioniert, müssen Sie sich auf mein Bild einlassen: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem heißen Sommertag im Garten und denken: Ich werde jetzt reingehen und mir ein Glas Wasser holen. Das ist absolut vernünftig und nicht im Geringsten maßlos. Das Verlangen nach Wasser ist an einem heißen Tag ethisch und moralisch absolut legitim. Also stehen Sie auf, schlendern zum Haus und – peng ! – knallen mit dem Kopf gegen die Terrassentür. Sie hatten geglaubt, sie stünde offen, aber irgendein Witzbold hat sie zugemacht. Da stehen Sie nun, leicht benommen – vielleicht haben Sie sich den Nacken gestaucht, sich eine Beule auf der Stirn zugezogen oder sich Nasenbluten geholt – und denken: Verdammter Mist, was für ein Pech. Das habe ich nicht verdient.
Das war jetzt eine ziemlich weitschweifige Hinführung zum heiklen Thema der heutigen Verführung. Ich benutze den Begriff »heikel« hier mit Absicht, aber darauf werden wir später noch kommen. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass Sie mich in Kürze verstehen werden.
Es ging für mich nicht gerade vielversprechend los, denn Anfang der Woche rief mich Herbert vormittags an, um mir zu sagen, dass er sein Auto auf dem Weg zur Arbeit geschrottet habe und ich ihn doch bitte im Krankenhaus abholen
solle. Außer einem leichten Schleudertrauma war ihm nichts passiert, aber das bedeutete, dass er die ganze restliche Woche über keine Lust mehr auf Sex hatte. Schließlich stimmte er doch einer Verführung am Freitag zu, und ich überlegte mir, diesmal etwas ziemlich Verwegenes vorzuschlagen.
Als Herbert am Freitagabend nach Hause kommt, erkläre ich ihm: »Für die Verführung heute Abend würde ich uns gerne eine Aufgabe stellen. Wir gehen in der Stadt aus und müssen im Verlauf des Abends irgendeinen Ort finden, wo wir es miteinander treiben können. In der Öffentlichkeit.«
»Verstehe«,
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