54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
indischen Königreiches empfinden, als er jetzt den Mann vor sich sah, dem er all sein Elend zu verdanken hatte! Aber er ließ sich davon nichts merken. Sein Gesicht war ruhig und unbewegt. Ihm waren die stürmischen Regungen nicht anzusehen, die ihm im tiefsten Herzen tobten.
„Hattest du mir gewinkt, Herr?“ fragte er.
„Ja. Ich möchte mit dir reden. Es ist nichts Gewöhnliches, was ich dir zu sagen habe.“
„Gewöhnlich oder ungewöhnlich, es ist mir alles gleich. Dem Verbannten kann nichts mehr lieb oder unlieb sein.“
„Auch Weib und Kind nicht?“
„Auch diese nicht. Er hat keine Heimat und keinen Namen, kein Recht, keine Seele, kein Gefühl. Er ist eine Ziffer, eine Null.“
„Ja, es muß schrecklich sein, ein Verbannter zu sein!“
„Schrecklich? Dieses Wort ist noch viel zu schön. Es gibt gar kein Wort.“ Nicht einmal sein Auge bekam dabei einen anderen Glanz.
Da fragte der Graf plötzlich:
„Also du kennst mich nicht?“
„Nein.“
„Schau mich einmal schärfer an!“
Nummer Fünf betrachtete den Sprecher mit einem halb verwunderten Blick.
„Ich habe dich noch nie gesehen“, entgegnete er gelassen.
„Du täuschst dich. Ich bin der Graf Alexei Polikeff.“
Der Graf hielt während der letzten Worte den Blick fest auf den Verbannten gerichtet. Er erwartete, daß dieser in Rufe des Erstaunens, des Grimmes, der höchsten Entrüstung ausbrechen werde. Aber er hatte sich sehr, sehr getäuscht.
„So!“ sagte Nummer Fünf nämlich im Ton der äußersten Gleichgültigkeit. „Ich habe diesen Namen nie vernommen und weiß auch nicht, weshalb ich ihn jetzt hören soll.“
„Mein Name steht mit den wichtigsten Ereignissen deines Lebens in Verbindung.“
„Davon weiß ich nichts.“
„Wer warst du früher?“
„Ich bin Verbannter. Was ich früher war, das hat keinen Wert mehr für mich.“
„Wie hießest du?“
„Ich heiße Nummer Fünf. Mein früherer Name ist dahin, wie ein Blatt verweht wird.“
„Aber, Mann, ist denn dein Herz ganz versteinert und dein Gemüt verknöchert! Hattest du Kinder?“
„Was nützte es mir heute, wenn ich wirklich Kinder gehabt hätte? Nichts, gar nichts.“
„Ich dachte, daß du eine Tochter hattest. Hieß sie nicht Semawa?“
„Semawa bedeutet himmelblau. Mein Leben hat keine Farbe mehr. Es ist schwarz und finster.“
„Du mußt sie doch liebgehabt haben!“
„Lieb? Weißt etwa du, was Liebe ist? Liebe ist – ach, es ist besser, ich spreche kein Wort von ihr.“
„Hattest du nicht einen Diener, der Nena genannt wurde?“
„Bin ich etwa früher bedient worden? Wenn du so sprichst, dann ist's mir, als ob ich dich im Traum sprechen hörte.“
„Es ist kein Traum. Du warst ein großer und vornehmer Herr.“
Der Verbannte hatte sich mit dem Rücken an den Stamm einer Erle gelehnt und die Arme über der Brust gekreuzt. Sein Gesicht war starr und unbeweglich wie dasjenige einer Statue. Seine Stimme klang, als ob er bei vollem Leben leblos sei.
„Das müßte eine lange, lange Zeit her sein“, sagte er. „Ich weiß nichts davon.“
„Kannst du dich denn gar nicht auf deinen Namen besinnen?“
„O ja. Besinnen kann ich mich auf ihn. Ich wurde Saltikoff genannt, Wassilij Saltikoff.“
„Das ist nicht wahr!“
„Nicht? Oho! Ich bin in der Tat Saltikoff. Willst du es bestreiten?“
„Ja, ich bestreite es, denn ich kenne dich. Ich bin ja in Nubrida bei dir gewesen. Ich sah dich täglich und auch Semawa, deine schöne Tochter, die Rose von Nubrida. Ach, ich liebte sie, aber du versagtest sie mir! Da entbrannte ich in Rache gegen dich, da lockte ich dich auf russisches Gebiet und gab vor, du seiest jener Wassilij Saltikoff, den man verfolgte, und Nena, dein Diener beschwor, daß du nicht der Maharadscha seist.“
„Da hatte er ja recht! Ich muß es doch am besten wissen! Man verurteilte mich zu hundert Knutenhieben und zu ewiger Verbannung. Ich bekam die Hiebe und wurde in die Wälder abgeführt. Ich hatte es verdient.“
„Nein, du hattest es nicht verdient. Du bist unschuldig verurteilt worden. Ich kann es beweisen. Sage nur ein Wort, ein kleines, kleines Ja zu meiner Verbindung mit Semawa, so wirst du wieder der anerkannte Herrscher von Nubrida.“
„Mit Semawa, meiner Tochter? Ist jene Semawa noch nicht dein Weib geworden?“
„Nein.“
„So haßt sie dich?“
„Wie den Tod!“
Es war seit langen Jahren das erstemal, daß der Maharadscha von seinem Kind hörte. Was mußte dabei in ihm vorgehen! Aber er
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