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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hervor, ein Umstand, der außerhalb aller Berechnungen schien, aber doch das Ergebnis eines sehr bewußten Raffinements war.
    Vor ihr stand der Mann, dessen Kommen der Kapitän beobachtet hatte. Es war der Fabrikdirektor, welcher von der Zofe auf der Treppe erwartet und zu ihrer Herrin geschickt worden war. Er hielt unter dem Arme ein ziemlich umfangreiches Buch, nach welchem die verführerische Frau soeben ihre Hand ausstreckte.
    „Aber bitte“, sagte sie, „legen Sie doch diesen häßlichen Band ein wenig fort, und setzen Sie sich an meine Seite.“
    „Verzeihung, teure Adeline“, antwortete er, „ich darf mich nicht verweilen. Ich muß zum Kapitän. Vielleicht hat er mein Kommen durch das Fenster bemerkt und schöpft Verdacht, wenn ich zu erscheinen zögere.“
    „Der häßliche Alte!“ seufzte sie, indem sie einen verzehrenden Blick auf den Direktor warf.
    „Auch mir wird er immer unbequemer. Nicht nur, daß er der einzige ist, dessen Scharfsinn das stille, heimliche Glück unserer Liebe in Gefahr bringt, er weiß auch gar nicht, Verdienste anzuerkennen. Hielten Sie mich nicht hier fest, so würde ich mein Engagement längst aufgegeben haben.“
    „Ah!“ dachte der Lauscher. „Es wird also Zeit, nachzuforschen, ob ich mich wirklich auf ihn verlassen konnte.“
    „Tun Sie das nicht“, fiel sie schnell ein. „Ich würde mich hier ganz unglücklich fühlen. Aber es ist wahr, Sie dürfen ihn nicht warten lassen. Meine Sehnsucht nach Ihnen kann ja auf andere Weise gestillt werden. Sind Sie heute abend frei?“
    „Ja, aber allerdings erst spät.“
    „Wieviel Uhr?“
    „Von zehn Uhr an, teure Adeline.“
    „So werde ich um diese Zeit das Schloß verlassen und nach der Parkwiese kommen. Können Sie mich dort erwarten?“
    „Es wird mir eine Seligkeit sein, Sie dort zu treffen.“
    „So gehen Sie jetzt, Sie lieber, lieber Mann!“
    Er ergriff ihre Hand, um einen Kuß auf dieselbe zu drücken; sie aber hob den Kopf und bot ihm ihre Lippen dar. Der für die Hand bestimmte Kuß traf den Mund, und dann verließ der Direktor das Boudoir.
    Als er bei dem Kapitän eintrat, fand er diesen bei einer Menge von Skripturen an dem Arbeitstische sitzen.
    „Sie kommen, den Tagesbericht abzugeben?“ fragte der Alte, ohne sich zu erheben.
    „Allerdings, Herr Kapitän“, lautete die Antwort.
    „Ich habe heute nicht viel Zeit. Gibt es etwas Aufschiebbares?“
    „Haus Monsard und Kompanie hat Geld geschickt.“
    „Endlich. Wieviel?“
    „Zwölftausend Francs. Ebenso Léon Siboult achttausendfünfhundert.“
    „Das freut mich. Haben Sie die beiden Summen mit?“
    „Ich wollte sie aufzählen.“
    „Das hat Zeit bis morgen. Vielleicht ist ein Teil dieser Summe dazu bestimmt, Ihnen zu beweisen, daß ich Ihre Wirksamkeit anerkenne. Aber sprechen Sie heute mit niemand davon. Morgen werden wir uns einigen. Adieu!“
    Der Direktor hätte gern einige dankbare Worte ausgesprochen; aber er kannte seinen Gebieter. Hatte dieser einmal ‚Adieu‘ gesagt, so konnte ihn jedes weitere Wort nur in den Harnisch bringen. Darum begnügte der Beamte sich damit, unter einer tiefen Verneigung abzutreten. Während er die Treppe hinunterstieg, dachte er:
    „Wußte ich das, so konnte ich der Baronin noch ein Viertelstündchen widmen. Wer weiß, ob sie sich heute abend wieder in einer solch liebevollen Stimmung befinden wird!“ –
    Alexander hatte die Weisung seines Großvaters befolgt und war nach dem Stall gegangen. Dort war der Groom beschäftigt gewesen, das Pony vor den leichten Wagen zu spannen, um den jungen Herrn auszufahren, was täglich um diese Zeit zu geschehen pflegte. Als das Gespann bereit war, wollte der Kutscher auf den Bock steigen, aber Alexander hielt ihn zurück.
    „Halt, steige in den Wagen; ich werde selbst fahren!“
    „Aber, gnädiger Herr Alexander, das haben Sie ja noch nicht gelernt!“
    „So werde ich es heute lernen.“
    Der Groom wußte, daß hier ein fernerer Widerspruch vergebens sein werde. Er gehorchte also und setzte sich in den Wagen, während Alexander die Zügel und die Peitsche ergriff, und auf dem Bock Platz nahm. Das Pferd setzte sich in Bewegung. – – –
    Zu derselben Zeit saß im Wirtshause des Dorfes Oudron ein Mann, der in einen langen Frack gekleidet war, eine große Messingbrille trug und auf dem Rücken – ausgewachsen war. Es war Doktor Müller. Er war in diesem Augenblick der einzige Gast, und die Wirtin hatte sich zu ihm gesetzt, um sich ein wenig von der anstrengenden

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