55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Küchenarbeit auszuruhen. Sie schien eine sehr redselige Frau zu sein, denn sie hatte seit zehn Minuten dem Gast bereits ihren ganzen Lebenslauf erzählt und ihn auch mit den Familiengeheimnissen des Dorfes bekannt gemacht. Jetzt nahm sie ihn schärfer auf das Korn und fragte:
„Wie mir scheint, sind Sie fremd hier, Monsieur?“
„Vollständig“, antwortete Müller.
„Wohin wollen Sie?“
„Nach Ortry.“
„Ah, das ist ja mein Geburtsort. Haben Sie vielleicht Verwandte dort?“
„Nein. Ich komme von sehr weit her. Ich bin ein Deutscher.“
„Unmöglich!“ rief sie. „Sie sprechen ja das Französisch so geläufig und regelrecht, daß man meinen sollte, Sie seien auch in Ortry geboren.“
Er unterdrückte das Lächeln, welches auf die Lippen treten wollte. Diese gute Frau schien der Meinung zu sein, daß in Ortry das beste Französisch gesprochen werde, und doch war ihre Sprache schwerfällig und mit einer ganzen Menge von Germanismen gespickt.
„Ich habe einen guten Franzosen als Lehrer gehabt“, erklärte er.
„Der ist sicher aus Ortry oder aus der hiesigen Gegend gewesen“, meinte sie. „Werden Sie längere Zeit dort bleiben?“
„Voraussichtlich, Madame. Ich begebe mich zum Baron de Sainte-Marie, bei welchem ich als Erzieher seines Sohnes engagiert bin.“
„Mein Gott, Sie Ärmster!“ rief sie. „Da werden Sie harte Arbeit haben.“
„Warum?“
„Weil Monsieur Alexander bisher alle Monate einen anderen Erzieher gehabt hat. Es konnte keiner länger aushalten!“
„Sie eröffnen mir da eine schlimme Perspektive. Wer trägt denn eigentlich die Schuld, daß die Herren so bald wieder fortgegangen sind?“
„Alle, nur diese Herren selbst nicht. Oh, die frühere Herrschaft, das war doch etwas ganz anderes! Ich bin da selbst Stubenmädchen gewesen, ehe ich meinen ersten Seligen kennenlernte.“
„Ah, Sie haben mehrere Selige, Madame?“ fragte Müller.
„Zwei. Und vom dritten habe ich mich scheiden lassen. Sie müssen nämlich wissen, daß dies geschehen konnte, weil ich nicht katholisch bin. Also, Monsieur, ich bin auf Schloß Ortry Zimmermädchen gewesen und bedaure, daß dieses Besitztum in solche Hände geraten ist. Ich sollte Ihnen dies allerdings nicht sagen, da Sie ja selbst ein Bewohner des Schlosses sein werden; aber ich kann mir nicht helfen. Ich kann diese Barons einmal nicht ausstehen.“
„Warum, Madame?“ fragte Müller, dem es sehr gelegen kam, hier etwas Näheres über seinen Bestimmungsort zu erfahren.
„Warum? Mein Gott, da gibt es eine ganze Menge Gründe. Fangen wir einmal von oben an! Da ist zunächst dieser Kapitän –“
„Ein Kapitän? Wer ist das?“
„Wer das ist? Ja, so, Sie sind dort noch unbekannt! Der Kapitän ist der Vater des Barons, ein Veteran der Napoleonsschlachten im Alter von wohl neunzig Jahren. Er ist ein Satan, ein Teufel, ein Beelzebub. Er hat weißes Haar, aber ein schwarzes Herz. Er spricht niemals ein Wort und übt doch eine Herrschaft aus, als ob er den Mund nicht einen Augenblick halten könne. Er ist es auch, der das große Eisenwerk regiert, und wer es mit ihm verdirbt, um den ist es geschehen. Ferner die Baronin.“
Die Wirtin machte hier eine Pause, um Atem zu schöpfen, dann fuhr sie fort:
„Von der Baronin sagt man im stillen, daß sie eine Bauernmagd aus dem Argonner Wald sei. Sie hält sich für ungeheuer schön und soll in Paris etliche hundert Anbeter haben. Sie putzt sich den ganzen Tag, trägt sich wie ein junges Mädchen und knechtet die Dienstboten. Nur für den alten Kapitän hegt sie eine Art von Respekt, im übrigen aber ist sie die Herrin des Hauses.“
„Und der Baron selbst?“
„Oh, der gilt gar nichts! Er ist ein guter Kerl, der sich alles gefallen läßt, und zuweilen soll er im Kopf nicht ganz richtig sein. Dann schließen sie ihn ein, und man sagt, daß er zu solchen Zeiten sogar Schläge erhält, denn man hat ihn ganz erbärmlich klagen und winseln gehört. Diese Anfälle kommen nur im Sommer, eigentümlich! Im Winter lebt er mit der Baronin in Paris, und da soll er ganz gesund im Kopf sein. Ferner ist da der junge Herr, der Alexander.“
„Das ist der Sohn, dessen Lehrer ich sein werde?“
„Ja, denn es ist weiter kein Sohn vorhanden. Der ist kaum sechzehn Jahre alt und hält sich doch bereits für einen großen Herrn. Lernen will und mag er partout nichts. Sie können sich die größte Mühe geben, so ist es doch umsonst. Ich weiß gewiß, daß Sie bei mir einkehren werden, nämlich
Weitere Kostenlose Bücher