55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
von Königsau kein sogenannter Gesellschaftsmensch. Der Dienst geht ihm über alles; er liebt das Studium und infolgedessen die Einsamkeit. Es mag schwer sein, sich bei ihm einzuführen.“
„Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, seine Freundschaft zu erlangen. Aus welchen Personen besteht seine Familie, außer dem bereits genannten Veteran?“
„Aus seiner Mutter und einer Schwester.“
„Ist diese Schwester hübsch?“
„Ich glaube. Ich habe Bekannte, welche von ihr sogar als von einer Schönheit sprechen.“
Müller sagte die Wahrheit. Es tat ihm in diesem Augenblick herzlich wohl, in solcher Weise von der fern Weilenden sprechen zu können. Haller machte ein erfreutes Gesicht und sagte mit jenem Lächeln, welches unter jungen Herren so vielsagend ist:
„Ein Grund mehr, die Bekanntschaft des Rittmeisters zu machen. Ich bin Ihnen herzlich dankbar für die Auskunft, die Sie mir erteilt haben!“
„Und ich bedaure sehr, nicht imstande gewesen zu sein, Ihnen mehr zu sagen. Ich will Ihnen gern wünschen, daß Sie sich nicht enttäuscht sehen mögen.“
Er verbeugte sich höflich und ging dem Park zu. Diese Begegnung gab ihm zu denken. War dieser Maler wirklich ein Deutscher? War er überhaupt ein Maler? Er war mit Rallion, dem größten Feind Deutschlands, gekommen, und zwar aus Metz, dem militärischen Ameisenhaufen. Warum wollte er als Maler in Berlin gerade Müllers Bekanntschaft machen, das heißt also, die des Rittmeisters von Königsau? Warum die Lüge, daß Graf Rallion Königsau kenne? Und wenn dieser Haller kein Maler sondern Offizier war, so hieß er jedenfalls auch anders und ging in einer geheimen Mission nach Berlin. In diesem Falle –
Müller wurde gerade jetzt aus seinem Nachdenken aufgestört, denn eine liebliche Stimme erklang:
„Bon jour, monsieur le docteur! Haben Sie Baronesse Marion nicht gesehen?“
Er blickte auf. Nanon stand seitwärts von ihm. Sie trug ihr lichtes Kleid hoch aufgeschürzt, wie zu einem langen Gang durch Wald und Feld, und ihr volles, freundliches Gesichtchen wurde von einem breitrandigen Gartenhut beschattet. Ihr Haar hing in zwei dicken, blonden Zöpfen über den Rücken herab. Als sie so hinter dem Fliederstrauch hervorlugte, hatte sie ganz das Aussehen einer neckischen Elfe, welche von ihrer Königin die Erlaubnis erhalten hat, sich einmal an dem fröhlichen, glücklichen Menschenleben zu beteiligen.
„Leider nein, Mademoiselle“, antwortete er.
„Sie soll mit Alexander in den Park gegangen sein. Ich suche sie.“
„Vielleicht ist sie nach dem alten Turm.“
Sie sah ihn mit fragender Bitte an. Vielleicht wäre es geraten gewesen, sie zu begleiten, um ihr den Turm zu zeigen; aber der Doktor war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um darüber nachzudenken, ob er als Erzieher die Verpflichtung habe, auch in diesem Fall galant zu sein. Nanon bemerkte dies, warf mit einem trotzigen Schmollen das Köpfchen zurück und antwortete:
„Ich danke Ihnen. Vielleicht finde ich den Turm.“
Damit schritt sie fort, dem Wald entgegen. Dort dufteten bereits die Maien, und zahllose Blüten hingen an den Sträuchern. Sie schlüpfte von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch; bald hatte sie einen Vogel, bald einen Käfer, bald einen früh erwachten Schmetterling zu beobachten. Immer tiefer und tiefer drang sie in den Wald, bis sie endlich nicht mehr weiterkonnte.
„Mon dieu, was ist denn das?“ fragte sie. „Ich glaube gar, hier ist der Weg alle!“ Sie wendete sich um und fügte erschrocken hinzu: „Ach, der scheint ja schon längst alle geworden zu sein! Wo bin ich? Wo ist das Schloß? Und wo ist der alte Turm, den ich suche? Ich habe mich ganz und gar verlaufen!“
So war es allerdings – sie hatte sich verlaufen. Sie suchte nun nach dem richtigen Weg; aber sie fand nicht nur nicht den richtigen, sondern überhaupt keinen Weg. Sie ging immer weiter und weiter und verirrte sich immer mehr. Sie ward müde und setzte sich nieder, um auszuruhen, bis sie bemerkte, daß sie keine Zeit versäumen dürfe. Sie brach also wieder auf und suchte von neuem. Endlich fand sie einen schmalen Pfad, aber er verlief sich im Wald, als sie ihm folgte. Sie kehrte zurück und gelangte an einen Kreuzweg. Sie wandte sich nach rechts, ging eine Viertelstunde lang und mußte dann zu ihrem Herzeleid sehen, daß auch dieser Weg zwischen Sträuchern und Büschen ein Ende nahm.
Nun wurde es ihr angst. Sie kehrte abermals um und begann zu rufen. Aber niemand antwortete; sie befand
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