55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
mindeste Angst vor seinen Verfolgern. Es galt nur, seinen Kräutersack in Sicherheit zu bringen; denn fand man diesen, so konnte leicht erraten werden, wer der Spion gewesen sei. Er sprang also mit weiten Sätzen an der Mauer hin und dann unter die Bäume hinüber, riß den Sack unter der Buche hervor und eilte noch einige Schritte tiefer in den Wald hinein. Dann aber sagte er sich, daß jedes Geräusch die Franzosen nur auf seine Fährte bringen müsse; er kroch also in ein vor ihm liegendes Dickicht hinein und verhielt sich da ganz ruhig.
Er hörte die Schritte der Verfolger und ihre Rufe. Einige Male war man ihm ziemlich nahe, bald aber lag der Wald in scheinbar ununterbrochener Ruhe da. Doch war Fritz vorsichtig genug, in dem einmal eingenommenen Schlupfwinkel zu verharren. Er legte sich den weichen Sack unter den Kopf, streckte sich so bequem aus, als die Sträucher es gestatteten und dachte, seine Lage überlegend:
„Wo bin ich? Was für ein altes Gemäuer ist diese Ruine? Das muß ich wissen. Wenn ich ausreiße und fortlaufe, bis ich aus dem Wald hinauskomme, werde ich nicht wissen, wo ich gewesen bin. Darum bleibe ich liegen bis morgen früh und sehe mir das Ding bei Tageslicht an.“
Er atmete einige Male tief auf und fuhr dann fort:
„Er war eine verteufelte Suppe, die ich mir da eingebrockt hatte. Ich glaube sicher, diese Kerls wären mir ans Leben gegangen. Und was habe ich davon? Nichts, gar nichts. Der Alte hatte ja kaum die Rede angefangen. Hätte er sie vollenden können, so wüßte ich, was man eigentlich bezweckt. Das ist dumm, sehr dumm. Wer muß nur der alte Schnurrbart sein? Zwei sind verwundet, der eine an der Hand, der andere über das Gesicht. Auf diese Weise kann ich beide wieder erkennen. In die Brust wollte ich nicht stechen, denn ein Menschenleben schont man so lange, als es nur immer geht!“ –
Müller hatte während des ganzen Tages an den Maler denken müssen, der so unvorsichtig gewesen war, sich nach dem Rittmeister von Königsau zu erkundigen. Er hatte am Nachmittage mit Alexander einen Spaziergang gemacht und dann das Abendessen allein auf seinem Zimmer verzehrt. Nachdem dies geschehen war, verlöschte er seine Lampe und wartete. Er wußte, daß der alte Kapitän mit den beiden Rallions ausgegangen war und wollte ihre Zurückkunft vorüberlassen, ehe er ausführte, was er sich vorgenommen hatte; denn es galt, von dem Alten nicht überrascht zu werden.
Die Zeit verging, und der Harrende wurde unruhig. Der Kapitän war mit seinen Begleitern nach dem Eisenwerk gegangen; die dort geltende Arbeitszeit war bereits verflossen, und Müller konnte von seinem Fenster aus sehen, daß man alle Lichter verlöscht hatte. Wo blieben die drei Männer? Jedenfalls hatten sie die heimlichen Niederlagen aufgesucht, um sie einer Inspektion zu unterwerfen. Wo aber befanden sich diese Niederlagen? Es gehörte zur Aufgabe Müllers, dies ausfindig zu machen. Aber konnte er es entdecken, wenn er hier sitzen blieb, um die Rückkehr jener zu erwarten? War es nicht vielleicht besser, in den geheimen Gang einzudringen, in welchem sie sich befinden mußten?
Übrigens hatte er sich vorgenommen, den Maler zu belauschen. Er kannte ja die Einrichtung des Zimmers, welches dieser bewohnte; er hatte ja da den Alten beim Mord an dem Fabrikdirektor beobachtet. Vielleicht war es möglich, über die Person und die Absichten dieses sogenannten Herrn Haller etwas Näheres in Erfahrung zu bringen.
Wartete der Deutsche noch länger, so ging jener vielleicht schlafen, und dann war nichts zu erlangen. Er erhob sich also von seinem Sitz, auf welchem er still im Dunkeln gesessen hatte, und lauschte zum Fenster hinaus. Es herrschte überall die größte Ruhe und Stille. Er wagte also, seinen Gang anzutreten.
Vorher traf er dieselben Vorbereitungen wie früher. Er legte den Buckel ab, verkleidete sich und steckte die beiden Revolver und die Blendlaterne in die Tasche. Dann stieg er zum Fenster hinaus, glitt über das Dach und kletterte am Blitzableiter hinab. Als er am Zimmer des Alten vorüberkam, war es in demselben vollständig dunkel.
In demselben Augenblick aber, als Müller den Fußboden erreichte, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich blitzschnell um und griff nach seiner Waffe.
„Pst, keine Sorge!“ flüsterte es. „Ich tue Ihnen nichts; ich will nur mit Ihnen sprechen.“
„Wer sind Sie?“ fragte Müller.
„Das werden Sie erfahren. Kommen Sie.“
Der Mann sprach nicht den Dialekt
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