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56,3° Im Schatten

56,3° Im Schatten

Titel: 56,3° Im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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sein muss, du meine Güte, seine Anni!
    Der Doktor Krisper hat sie also mit einer schönen weißen Rot-Kreuz-Uniform ausgestattet und mit einer Kühlkiste samt Eiswürfel drinnen, „was du schüttest bitte drüber über ganze Haufen von kaputte Leute, was du dann schiebst mit Fußspitze hinein in die Graben, damit nicht leidet schäääne Bild von schäääne Ort!“ Und für den unwahrscheinlich Fall, dass sich doch noch einer rühren sollte, hat er ihr auch gleich ein Notfallfläschchen mit eisgekühltem Bier für die Erstversorgung umgehängt wie dem Bernhardiner das Schnapsfass, „und wie die Mund-zu-Mund-Beatmung geht, das brauche ich dir ja wohl nicht zu erklären?“
    „Nein, danke.“
    Anstatt im Bierzelt drinnen aufzuräumen, wie sie es früher immer getan hat, wird sie heuer also mit der Taschenlampe ihre Runden um das Zelt herum drehen und Ausschau nach eventuell noch Lebenden halten, denen sie mit einem feuchten Lappen die Stirn kühlen soll und vielleicht sogar ihre schönen, feuchten Lippen auf andere draufdrücken, auf grausliche, nach Bier und Zigaretten stinkende Lippen, und ihnen dann vielleicht sogar – der Biermösel will gar nicht daran denken! – die Zunge hineinstecken, wie das die Weiber im Dschungel von Kongolien immer machen, nachdem sie den Jason gerettet haben, du meine Güte, wenn das passiert, dass die Anni einen Herzbuben mit ihrem Mund beatmet, dann dreht er durch.
    Um nicht durchzudrehen, säuft der Biermösel dann noch eine Kiste Weizenbier und lässt einen Wahnsinnigen fahren, und weil er immer sentimental wird, wenn er an die Anni denkt, nimmt er „Duttelwatschen & Bier Vol. 62“ von den Radinger Spitzbuben aus dem Kassettenrekorder heraus und legt „Schö Tem“ vom Weiß Ferdl ein, seinen ewig gültigen Liebeshit. Das ist dann zwar ein bisserl peinlich für einen Django, wie er im Bilderbuch steht, aber es sieht ihn ja keiner.
    Natürlich macht der Biermösel, der ja vom Wesen her ein Spitzbube ist, sich bei ein paar weiteren gezischten Bierchen zunächst einmal gehörig über den Ferdl lustig, der ja vom Wesen her ein Herzbube ist: So ein Blödsinn muss einem erst einmal einfallen! Und so einen Blödsinn muss man sich erst einmal zu singen trauen!
    Jedoch muss man die Tränen auch erst einmal im Zaum halten können, Kruzifixnocheinmal, die einem aus den Sehwerkzeugen herausspringen wie das Bächlein aus der Quelle, sobald der Ferdl „Schö Tem“ zu singen anfängt, so schön ist das, und zwo, drei:
    „Schö tem hier und schö tem da
    Ich liebe dich das ganze Jahr
    Überall auf der Welt
    Wo’s mir Herzbub grad gefällt.“
    Und noch einmal!
    Der Biermösel wischt das Tränenmeer vom Boden auf, das ihm aus den Äuglein herausgesprungen ist, während er den Blödsinn dreihundertdreizehnmal hintereinander angehört und dabei an die Anni gedacht hat. Dann reißt er das Fenster auf und sucht wieder einmal das Duell mit der Sonne, einerseits­, um sich zu beruhigen, andererseits aus der reinen Laune des unterbeschäftigten und übellaunigen Einsamen heraus. Vielleicht, kommt ihm jetzt in den Sinn, erwärmt er die Erde ja sowie nur deshalb, weil er auch einmal auf der Straße kollabieren möchte, damit ihn die Anni mit dem Notfallfläschchen erstversorgen und ihm dann vielleicht sogar den nassen Zungenlappen in seinen Mund hineinstecken könnte, vielleicht ist er ja wirklich so unreif, wie ihm der Doktor Krisper immer einreden will.
    Dort unten beim See, der nur noch einen Fingerhut breit ist, sieht er sie auf einmal, wegen der er die ganzen Tränen vergossen hat, größer als ein See. Wie ein Perle glänzt sie, wie Gold im Dreck, so würdig und schön ist sie, selbst bei der Hitze, wo alle anderen in ihrer Schwitzbrühe herumrennen, ist die Anni nur schön, schöner als in dieser flirrenden Hitze war sie noch nie, das ist seine Meinung über die Anni. Ihre Uniform ist makellos weiß, sie trägt keine Strumpfhosen darunter, wieso auch? Ihre Beine sind „formvollendet und aus Elfenbein“, wie die depperten Herzbuben immer singen, aber wo sie recht haben, haben sie recht. Die ganzen Mon Chéris von ihren Kunden haben bei ihr nicht angeschlagen, jedenfalls nicht dort, wohin das Adlerauge vom Kenner reicht. Die Putzfrau Anni hat alles Schmutzi­ge abgelegt, wie es ausschaut, das Scheißhaus als lebenslängliches Schlachtfeld liegt hinter ihr, vor ihr liegt das Schlachtfeld des Bierzelts am Humtata-Sonntag.
    „Schö tem!“, schmachtet der Biermösel und stützt seine

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