57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris
er sich in die Wangen steigen fühlte, konnte ja nicht als eine deutliche Erwiderung gelten.
Als er hinaustrat, war sie bereits fort. Er ließ sich widerstandslos vom Gedränge des Publikums erfassen und die breiten Treppen hinunter auf die Straße treiben. Dort nahm er einen der bereitstehenden Fiaker, um sich nach seiner eigentlichen Wohnung, welche in der Rue Richelieu lag, bringen zu lassen.
Diejenige, welche einen solchen Eindruck auf ihn gemacht hatte, war unten in die auf sie harrende Equipage gestiegen, und der Diener hatte sich hinten aufgestellt. Im Galopp fuhr der Kutscher von dannen. Er bemerkte gar nicht, daß ein Fiaker ihm fast auf dem Fuße folgte. Das Pferd desselben konnte kein gewöhnlicher Droschkengaul sein, sonst hätte es nicht eine solche Schnelligkeit entwickeln können.
Zwei Straßen weiter, da, wo es jetzt nur noch vereinzelte Passanten gab, standen vier Männer, zwei hüben und zwei drüben auf dem Trottoir. Sie hielten die beiden Enden eines dünnen aber festen Seiles, welches quer über die Straße reichte, in den Händen. Da hörten sie das laute Rasseln von zwei Wagen, welche sich mit großer Geschwindigkeit näherten.
„Aufgepaßt!“ rief der eine hinüber zu den beiden anderen.
„Werden sie es auch wirklich sein?“ antwortete es herüber.
„Ja. Horch, das Zeichen!“
Der Lenker des Fiakers klatschte viermal laut mit der Peitsche. Die vier Männer zogen das Seil fest. Die Pferde der Equipage kamen im schnellsten Tempo heran, rannten an das Seil, verfingen sich in demselben und stürzten zu Boden. Die Deichsel brach ab; der Wagen erlitt einen gewaltigen Stoß und blieb dann stehen. Der Kutscher war vom Bock gerissen und der Diener hinten von seinem Tritt geschleudert worden. In den Doppelschrei, welchen sie ausstießen, mischte sich der laute Schreckensruf der Dame.
In demselben Augenblick hielt der Fiaker neben dem Gewirr von Equipage, Pferden, Kutscher und Diener, welche beide letzteren noch gar nicht Zeit gefunden hatten, sich wieder aufzuraffen.
„Herein!“ rief der Lenker des Fiakers.
Die Dame stieß einen zweiten Schrei aus; es war ein Hilferuf. Vier starke Arme hatten sie erfaßt. Sie wurde im Nu aus den Kissen ihres Wagens gerissen und hinüber in den Fiaker gezogen, in welchen die beiden Männer mit sprangen.
„Fort!“ gebot der eine derselben.
Der Wagen setzte sich in Bewegung und jagte rasenden Laufes davon. Die unglückliche Dame wollte abermals rufen, aber zwei harte, knochige Hände verschlossen ihr den Mund, in welchen ihr dann mit bewundernswerter Geschicklichkeit ein Knebel geschoben wurde. Sie wollte sich wehren, doch Arme und Beine wurden ihr zusammengepreßt und dann mit Stricken gefesselt. Man hörte nur noch ein kurzes, durch den Knebel unterdrücktes Stöhnen, dann war es still.
„Wie steht es?“ fragte der Kutscher, sich rückwärts wendend, während er die Pferde unaufhaltsam ausgreifen ließ.
„Gut!“ wurde geantwortet. „Sie ist ohnmächtig.“
„Das können wir uns nicht besser wünschen.“
„Es hat überhaupt alles prachtvoll geklappt. Die hunderttausend Franken sind so gut wie verdient!“ –
Als die Ohnmächtige wieder zu Bewußtsein kam, vermochte sie noch immer nicht, ihre Arme und Füße zu bewegen. Sie waren ihr noch immer fest angebunden; aber sie befand sich nicht mehr in dem Wagen, sondern in einem kleinen Stübchen, in welchem außer den nackten, kahlen und schmutzigen Wänden nichts zu sehen war als ein elender Tisch und ein noch viel elenderer Stuhl. Auf dem Tisch steckte in dem Hals einer Flasche ein stinkend brennendes Talglicht. Die Tür schien verschlossen zu sein. Gefesselt war die Gefangene an zwei eiserne Haken, welche unterhalb Knie- und Schulterhöhe in die Mauer eingetrieben waren.
Sie mußte sich besinnen, was mit ihr geschehen war. Das Gedächtnis kehrte ihr erst langsam zurück. Sie dachte an die große Oper und an den, welchen sie dort bereits einige Male in der Nachbarloge gesehen hatte. Sie kannte ihn nicht. Wer war er? Dann war sie nach Hause gefahren und unterwegs bei dem Unfall, welcher ihr begegnet war, aus dem Wagen gerissen, in einen anderen gebracht und dort gefesselt und geknebelt worden.
Damit war sie bei der Gegenwart angelangt. Was wollte man mit ihr? Wo befand sie sich? Wer waren die fürchterlichen Männer, welche sich ihrer bemächtigt hatten?
Indem sie sich diese Frage stellte, kam eine entsetzliche Angst über sie. Man hatte sie auf eine ebenso raffinierte wie gewaltsame
Weitere Kostenlose Bücher