57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris
Komm, trink, und gib mir einen Kuß!“
Sie erhob sich, trat zu ihm hin, trank sein Glas halb leer und küßte ihn dann in das hagere, abgelebte und abgeschminkte Gesicht. Es war ein häßlicher Anblick, die Zärtlichkeit zu sehen, welche dieses verworfene Mädchen dem alten Mann erwies. Die anderen lachten.
„Wohl bekomme es, Lermille!“ rief einer der Gäste. „Du machst ja ein Gesicht, als habest du eine Delikatesse genossen, welche dir seit langer Zeit nicht zugute gekommen ist.“
„Es ist auch so!“ antwortete er, mit der Zunge schnalzend.
„Das mache uns nur nicht weis! Wir kennen dich! Wir wissen alle, daß deine Stieftochter deine Geliebte ist. Wo hast du sie?“
Der Alte erbleichte, und seine Augen erhielten einen eigentümlichen ängstlichen Flimmer. Er antwortete:
„Ich habe sie nicht mehr.“
„Nicht mehr? Wo steckt sie denn?“
„Sie ist tot.“
„Tot? Unmöglich! Dieses kräftige, strotzende Mädchen, um die ich und andere dich oft beneidet haben, ist tot? An welcher Krankheit ist sie denn gestorben?“
„Hm! An der Seilerkrankheit.“
„Der Kuckuck soll mich holen, wenn ich von dieser Krankheit jemals etwas gehört habe!“
„Ich meine, sie ist vom hohen Seil gestürzt.“
„Donnerwetter! Ist das wahr?“
„Natürlich! Ich bin ja dabei gewesen!“
„Das ist ein ungeheures Pech für dich. Die verdiente ein schönes Geld, und du wärst gut mit ihr verkommen, wenn sie nicht die dumme Angewohnheit gehabt hätte, mit anderen mehr zu liebäugeln als mit dir.“
„Das ist ja auch ihr Tod gewesen.“
„Wieso?“
„Nun, sie hatte sich einen angeschafft, einen armseligen Kräutersammler. Auf ihm hat sie die Augen gehabt und nicht auf dem Seil. Darum hat sie die Balance verloren und ist heruntergefallen.“
„War sie gleich tot?“
„Sofort. Das war noch ein Glück. Sie hatte alle Rippen und Glieder gebrochen.“
„Wo ist das geschehen?“
„In Thionville. Aber sprechen wir nicht weiter davon. Ich mag von dieser Angelegenheit nichts mehr hören.“
„Warst du da noch bei der Truppe des Abu Hassan?“
„Ja.“
„Warum hast du sie verlassen? Er zahlte ja so gut.“
„Ich mochte nichts mehr vom Geschäft wissen, nachdem ich so elenderweise um das Mädchen gekommen war.“
„Und was treibst du nun? Wovon lebst du jetzt?“
„Was geht das dich an! Kümmere du dich um deine Angelegenheiten, aber nicht um die meinigen! Jetzt privatisiere ich.“
„Alter, das glaube ich nicht.“
„Nicht? So! Warum nicht?“ fragte der einstige Bajazzo, der Mörder seiner Stieftochter, in höhnischem Ton.
„Weil zum Privatisieren Geld gehört.“
„Nun, wer sagt dir denn, daß ich keins habe?“
Der andere machte ein erstauntes Gesicht und antwortete:
„Ah! Du hast welches? Das ist etwas anderes! Aber wissen möchte ich doch, wie du so plötzlich reich geworden bist. So lange ich dich kenne, ist alles, was du verdientest, dir durch die Gurgel gerollt. Erspart hast du dir keinen Centime. Ich denke mir, du hast irgendeinen klugen Streich verübt.“
„Wenn es so wäre, was geht es dich an?“
„Richtig! Mich geht es ganz und gar nichts an. Aber komm einmal her, Alter! Ich muß dir doch einmal in dein versoffenes Spitzbubengesicht sehen.“
Der Bajazzo sträubte sich vergebens. Der andere drehte seinen Kopf nach sich herum, betrachtete erst das Gesicht und dann auch den Anzug des Akrobaten und sagte dann:
„Dieses Gesicht kenne ich, und den Anzug auch. Als Ihr in Remilly arbeitet, trug ihn dein Kollege, welcher den Herkules machte. Dir sind Rock, Hose und Weste viel zu weit. Und von so einem Direktor, wie Abu Hassan, der Zauberer, war, geht man als armer Bajazzo nicht einer bloßen Gefühlsregung wegen fort. Du hast das alles im Branntwein ersäuft. Ich glaube ganz richtig zu ahnen, wenn ich vermute, daß du deiner Gesellschaft mit der Kasse und in diesem fremden Anzug durchgegangen bist.“
„Unsinn!“
„Pah! Gestehe es nur ein, Alter!“
Da riß sich der Bajazzo los und meinte zornig:
„Ich wiederhole dir, daß du dich ganz und gar nicht um meine Angelegenheiten zu bekümmern hast. Du nicht und auch kein anderer.“
„Und ich wiederhole dir, daß du damit ganz recht gesprochen hast. Aber ich wollte dir nur zeigen, daß ich dich durchschaue. Übrigens sind wir, die wir hier sitzen, überhaupt alle, welche hier verkehren, gute Kameraden, von denen keiner den anderen verrät. Was ich gesagt habe, kann dir also nicht den geringsten Schaden machen. Und darum
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