595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
dankbares Lächeln zu schenken, doch sie reagiert erschrocken.
»Haben Sie einen neuen Anfall?«, fragt sie besorgt angesichts meines anscheinend verzerrten Gesichtes.
»Alles gut.« Ich mustere ihre hübschen, aber abgekämpft wirkenden Züge. Ist nicht in manchen Kulturen der Lebensretter für das Leben der Geretteten verantwortlich? Allerdings wäre sie dann wahrscheinlich für das Seelenheil vieler Menschen zuständig. Da will ich mich ihr nicht aufdrängen.
Die Sanitäter rollen die Transportbahre bis zum Krankenwagen und nach einem Ruck befinde ich mich im Inneren. Die Ärztin verkabelt sogleich meinen Brustkorb, kurz darauf signalisiert ihr ein gleichmäßiger Herzschlag, dass ich transportfähig bin.
»Ihre Halskette musste ich Ihnen abnehmen.«
»Halskette?«, wispere ich.
»Ein schönes Teil. Ist mir anfangs gar nicht aufgefallen. Bis es bei der Wiederbelebung gestört hat. Ich habe es in Ihre Hemdtasche gesteckt.«
Der Krankenwagen setzt sich mit Martinshorn in Bewegung. Mir ist es wegen dem lauten Signalton zu mühsam, ihr zu erklären, dass ich außer einer Uhr keinen Schmuck besitze.
***
Am frühen Abend steht ein Halbgott in Weiß an meinem Bett und mustert mich zufrieden.
»Sie haben nur einen leichten Herzinfarkt erlitten«, gratuliert er mir.
»Was bin ich für ein Glückspilz!«
»Mehr als Sie ahnen!«, erwidert er schmunzelnd.
»Wieso?«
»Selbst Ihr leichter Herzinfarkt hätte aufgrund der äußeren Umstände tödlich verlaufen können. Beim nächsten Mal bemühen Sie sich, ihn nicht mitten im Berufsverkehr zu erleiden.«
»Was wären denn geeignetere Orte?«
»Beispielsweise die Praxis eines Kardiologen. Oder ein Herzspezialistenkongress. Im Stau würde ich mich hingegen nicht darauf verlassen, lediglich vierzehn Wagenlängen vor einem Notarztwagen zu stehen.«
»Werde ich zukünftig berücksichtigen.« Ich bin versucht, ihm von der Begebenheit zu berichten, die mir den ganzen Tag keine Ruhe gelassen hat und an die ich mich sehr lebhaft erinnere. »Ist es normal, während eines Infarkts zu halluzinieren?«
Spöttisch betrachtet er mich. »Haben Sie das Licht am Ende des Tunnels gesehen? Oder ist Ihr Leben rückwärts vor Ihren Augen abgelaufen?«
Seine Reaktion hält mich davon ab, ihm von meiner Begegnung zu erzählen. »Nein. Ich stand mit der Nationalmannschaft im Weltmeisterschaftsfinale und schoss das entscheidende Tor.«
»Ungewöhnliche Fantasie«, lacht er. »Um auf Ihre Frage einzugehen: Ja, einige Patienten halluzinieren in dieser Ausnahmesituation. Wahrscheinlich lenkt der Verstand so von den Schmerzen ab.«
Also habe ich mir das Zwiegespräch mit meinem Jeenseitsbegleiter nur eingebildet, denke ich erleichtert.
»Wir werden Sie eine Woche hierbehalten«, fährt er mit seinen Erläuterungen fort. »Ein paar Untersuchungen durchführen, erste Rehamaßnahmen einleiten. Für die Zeit danach empfehle ich bereits jetzt weniger Stress, mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung. Dann können Sie sehr alt werden.«
Dankbar nicke ich. Das klingt viel besser als vierundzwanzig Tage!
***
Nachdem ich am folgenden Morgen den Gang zur Toilette bewältigt habe, erinnere ich mich an die Worte der Notärztin. Sie hat von einer Kette gesprochen, die sie in meine Hemdtasche gesteckt habe. Neugierig trete ich an den Schrank, in dem meine Kleidung liegt, und schaue in die Tasche. Darin befindet sich ein feingliedriges, silbernes Schmuckstück. Überrascht hole ich es heraus. An der Halskette baumelt ein Amulett. Wo kommt dieses Teil her?, wundere ich mich, als ich es betrachte.
Die Antwort erschließt sich mir beim Umdrehen des Anhängers. Ein gütig dreinblickender Sascha ist darauf abgebildet. Sein Porträt wirkt wie von einem Großmeister der Renaissance gemalt. Eine sehr imagefördernde Marketingmaßnahme, solche Amulette zu verteilen. In der Realität sah er nicht so glorreich aus.
Plötzlich werden meine Knie schwach. Deswegen setze ich mich aufs Bett, während wirre Gedanken in meinem Kopf Purzelbäume schlagen. Ich war nie ein sonderlich religiöser Mensch. Das katholische Pflichtprogramm aus Taufe, Kommunion und Firmung habe ich auf Verlangen meiner Eltern absolviert. Seit dem letzten Gotteshausbesuch sind Jahre vergangen. Nun soll ausgerechnet ich der lebendige Beweis für die Existenz des Paradieses und von Engeln sein?
Damit muss ich erst einmal klarkommen.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr beruhigt mich das Wissen, dass nicht jeder Zutritt zum
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