595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Plastikboxen. Im Grunde waren sie zu schwer, um zusammen getragen zu werden. Doch irgendwie schaffte ich es, die Boxen gleichzeitig ins Auto zu laden, ohne einen Leistenbruch zu erleiden.
Während ich die Kofferraumklappe zuwarf, fiel mein Augenmerk auf die Fenster der Schule, hinter denen sich hektisch Menschen bewegten. Der Anstand verlangte es, mich auf die Suche nach der Direktorin zu begeben, um mich von ihr zu verabschieden. Außerdem war ich noch nicht auf ihr Angebot eingegangen, mich von der Kuchentheke zu bedienen.
In diesem Moment war mir schickliches Benehmen jedoch völlig egal. Und auf den Kuchen konnte ich pfeifen. Ich stieg in meinen Wagen, startete den Motor und fuhr vom Parkplatz meiner Grundschule. Als ich in die nächste Straße bog, verschwand das Gebäude aus dem Rückspiegel. Ich schwor mir, nie wieder hierhin zurückzukehren.
***
Zu Hause angekommen setzte ich mich ächzend auf die schwarze Ledercouch und starrte vor mich hin.
Was für ein mieser Tag!
Nachdem ich genug Trübsal geblasen hatte, schlurfte ich in mein Arbeitszimmer. Ich betrat den mit hellbraunem Parkett ausgelegten Raum, der mit einem gläsernen Schreibtisch und einem alufarbenen Rollcontainer nur spärlich möbliert war. Mein Arbeitsplatz befand sich genau vor dem Fenster, sodass ich mich beim Schreiben von einer Birke inspirieren lassen konnte. Sattgrüne Blätter wogen sich sanft im Wind. Tatsächlich war mir eines Tages die Idee für einen Roman gekommen, als ein Eichhörnchen den Baumstamm hochgeflitzt war. Ich riss das Fenster auf. Eine leichte Brise kühlte meine verschwitzte Haut, während von draußen die Geräusche spielender Kinder zu mir drangen.
Beim Hochfahren des PCs öffnete ich eine Schublade des Containers, in dem ich meine Bankunterlagen aufbewahrte.
Bumm.
Ich betrachtete den aktuellsten Kontoauszug. Mein Girokonto wies einen Saldo von neunhundert Euro auf.
Bumm.
Darüber hinaus hatte ich mir einen Dispositionskredit mit einem Verfügungsrahmen von zehntausend Euro bei einer anderen Bank einräumen lassen. In Anspruch nahm ich davon derzeit lediglich eintausendzweihundert. Als selbstständiger Transporteur hatte sich mein Kontostand stets im Habenbereich befunden. Wahrscheinlich war der Jobwechsel ein Fehler gewesen, doch ich erinnerte mich daran, wie sehr ich meine vorherige Tätigkeit gehasst hatte. Außerdem hatten mich meine schmerzenden Kniegelenke zuletzt stark gepeinigt, und ich entsann mich an das angenehme, schmerzfreie Erwachen einige Wochen nach der Aufgabe des Transportgewerbes.
Bumm
.
Der Computer war betriebsbereit und ich startete den Browser.
Bumm.
»Verdammt!«, brüllte ich genervt. »Kann der Junge nicht auf dem Rasen spielen?«
Bumm.
Über mir wohnte die Wagner mit ihrem etwa achtjährigen Sohn. Mein Arbeitszimmer befand sich unter seinem Kinderzimmer.
Bumm. Bumm.
Offenbar spielte er Prellball.
Bumm.
Mein Puls beschleunigte sich, während ich versuchte, die Geräusche zu ignorieren. Die beiden konnten mich eh nicht leiden, weil wir schon öfter aneinandergeraten waren.
Bumm.
Und mein Hunger nach Ärger war eigentlich gestillt.
Bumm. Bumm.
Bumm.
»Das darf nicht wahr sein!«
Im Stechschritt lief ich nach oben und drückte zweimal auf die Klingel. Danach klopfte ich energisch gegen die Tür. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis mir geöffnet wurde. Die Wagner war Anfang dreißig, hatte langes, braunes Haar, das ihr über die Schulter reichte, braune Augen und schmale Augenbrauen. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich und schlank. Ihre Lippen hatte sie zusammengepresst, was den Leberfleck unterhalb des Mundes betonte.
»Herr Frost!«, sagte sie in einer Tonlage, die zu meinem Namen passte.
»Frau Wagner! Warum vergnügt sich Ihr Sohn bei diesem Wetter indoor mit einem Ball?« Mit jedem Wort wurde meine Stimme etwas lauter. Sie setzte zu einer Erwiderung an, aber ich gab ihr keine Gelegenheit. »Die anderen Kinder spielen doch auch draußen auf der Wiese! Können die Ihren Sohn nicht ausstehen? Was stimmt nicht mit ihm? Ist er verhaltensauffällig? Prügelt er sich ständig mit ihnen?«
»Noah ist nicht –«
»Mein Arbeitszimmer liegt genau unter Noahs Zimmer und ich arbeite von Zuhause. Mir fällt es schwer, wenn Ihr gestörtes Kind –«
»Noah ist nicht –«
»Wenn Ihr gestörtes Kind wie ein Geisteskranker einen Ball aufprallen lässt. Warum schenken Sie ihm nicht einfach einen Computer und lassen ihn Killerspiele zocken? Dann kann er seinen Frust
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