595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Himmel erhält, falls er nur früh genug seine Sünden beichtet. Wäre doch höchst ungerecht, wenn Investmentbanker, die Rentner um ihre Ersparnisse betrogen haben, kurz vor dem Ableben in den Beichtstuhl rennen könnten und halleluja – nach sechs
Ave Maria
ist alles in bester Ordnung. Wahrscheinlich würden sie den Pfarrer zu allem Überfluss auf drei Gebete herunterhandeln. Stattdessen steht von der Geburt an das gesamte Tun auf dem Prüfstand. Eine faire Ausgangssituation, obwohl dadurch meine Himmelszukunft ungewiss ist.
Fragt sich bloß, wie ich in den Folgewochen gutes Karma sammeln kann. Nach reichlicher Überlegung lauten meine ersten Vorsätze: Ausgiebig die Pfleger, Krankenschwestern, Ärzte und Therapeuten für ihre tolle Arbeit loben sowie mich stets über das mittelmäßige Essen anerkennend äußern.
Für eine Weile spiele ich mit dem Gedanken, den Aufenthalt abzubrechen, um auf eigenes Risiko entlassen zu werden. Mit jedem Tag im Krankenhaus verkürzt sich meine Nachspielzeit beträchtlich. Ich bin überzeugt, Sascha hält sein Versprechen und räumt mir genau den zugesagten Zeitraum ein. Aber eigentlich ist es witzlos gewesen, diese zusätzlichen Tage auf der Erde auszuhandeln, da ich eh nicht weiß, was ich mit ihnen anfangen soll. Daher beschließe ich, im Hospital zu bleiben, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wie ich die Verlängerungstage sinnvoll nutzen kann.
Wieder zu Hause
Sechs Tage später schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf und bin kein Stück schlauer.
Ein hilfsbereiter Freiwilligendienstleistender hat mich eine Stunde zuvor zur Polizei gefahren, wo mein Wagen auf dem Verwahrplatz stand. Nach Erledigung des Papierkrams konnte ich mich auf den Heimweg machen. Nun betrete ich meine Bleibe, in der ein faulig-muffiger Gestank wabert. Auf dem Tisch in der Küche liegt eine verschimmelte Toastpackung, die ich in den stinkenden Müll werfe, bevor ich das Fenster aufreiße.
Sobald ich die E-Mails der vergangenen Woche geprüft habe, will ich eine Liste erstellen, was ich noch erleben möchte. Eine Idee, auf die mich ein Fernsehfilm während des Krankenhausaufenthalts gebracht hat. Also schlurfe ich ins Arbeitszimmer, wo ich den Computer starte. Kurz darauf signalisiert mir das E-Mail-Programm den Eingang von dreiundzwanzig neuen Mails – das meiste davon Spamschrott. Die Schule, bei der ich niemals angekommen bin, hat mir wegen meines unentschuldigten Fernbleibens eine unfreundliche Nachricht geschickt. Wahrheitsgemäß informiere ich die Direktorin über den Grund meines Nichterscheinens und teile mit, in absehbarer Zeit für eine Neuterminierung nicht zur Verfügung zu stehen. Anschließend sage ich die Veranstaltungen der nächsten Wochen ab. Meine Vorlesekarriere ist beendet, mein Leben hingegen dümpelt noch siebzehn Tage vor sich hin.
Nach einer Weile dumpfen Vor-mich-Hin-Starrens löse ich ein weißes Blatt von einem Block und notiere die Worte ›To-do-Liste‹.
Was will ich unbedingt vor meinem Tod erleben?
Zuerst schießt mir ein Fallschirmsprung durch den Kopf. Ist das der Klassiker von Leuten, die wissen, dass ihnen nur wenige Tage bleiben?
Aber würde es mir wirklich gefallen, aus einem kleinen Flugzeug in die Tiefe zu springen, per Klettverschluss mit einem professionellen Fallschirmspringer verbunden?
Ganz sicher nicht.
Meine nächsten Gedanken kreisen um eine Reise ans Meer. Irgendwo im sonnigen Süden. Diese Eingebung beschäftigt mich lange, denn ich liebe das Meer und die Wärme. Meine von den Banken eingeräumten finanziellen Reserven würden ausreichen, um mir eine Luxusreise zu gönnen. Ich müsste nicht in der Pauschaltouristenklasse sitzen, sondern könnte mir ein Flugticket für die erste Klasse leisten und mich von einem Limousinenservice in ein Luxushotel chauffieren lassen.
Und dann?
Als Alleinreisender hätte ich wahrscheinlich ständig das Gefühl, von Paaren oder Kellnern bemitleidet zu werden. Im besten Fall würde ich die Bekanntschaft einer hübschen Frau machen, die zwecks Jagd auf einen solventen Mann im Hotel abgestiegen ist. Spätere Schwangerschaft sehr erwünscht. Ließe ich mich darauf ein, ohne sie über mein bevorstehendes Schicksal und meine wahre Finanzlage zu informieren, würde meine Minusseite überquellen.
Folglich streiche ich diesen Punkt.
Als Drittes kommt mir der Besuch eines Fußballspiels meines Vereins in den Sinn, im Idealfall unter Anmietung einer VIP-Lounge. Wie dumm, dass die Bundesligasaison mit dem
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