595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Ich sollte seine Märchenprinzessin sein. Hatte ich nach einer anstrengenden Arbeitswoche keinen Sinn für Romantik, machte er mir haltlose Vorwürfe – dann war ich für alles Schlechte in seinem Leben verantwortlich.«
Nach ihrem Wurf hebt auch sie mich in die Höhe. Den Bruchteil einer Sekunde schwebe ich über dem Foltergerät, bevor sie mich dahinter absetzt.
Melanie greift nach den Würfeln. Ehe sie die Mitspielerinnen an meinen charakterlichen Schwächen in unserer Beziehung teilhaben lässt, befinde ich mich bereits in ihrer Hand. Das Feuerfeld nähert sich bedrohlich. Plötzlich lecken echte Flammen an mir. Ich spüre, wie sich Melanies Finger von mir lösen, erfolglos versuche ich, mich an ihnen festzuhalten, und stürze schreiend in das Flammenmeer.
Schweißgebadet erwache ich in meinem Bett.
Mir ist sofort klar, was mir der Traum mitteilen will. Versöhne ich mich mit diesen Frauen, werden dadurch einige der Minuspunkte auf meinem Karmakonto gelöscht. Da meine Ex-Partnerinnen in einem Umkreis von fünfzehn Kilometern wohnen, würde ich für diese Mission lediglich einen Tag benötigen.
Eine Stunde später breche ich frisch geduscht auf. Ich werde sie in der chronologischen Reihenfolge unserer Partnerschaften besuchen.
***
Nicole wohnt in einem Vierfamilienhaus. Sie war die Frau, die mich aus meiner Heimatstadt fortgelockt hat. Wir lernten uns in einer Diskothek kennen, weil ich sie unabsichtlich beim Pogen zu Boden rempelte. Nachdem ich ihr auf die Beine geholfen und zur Wiedergutmachung ein Getränk ausgegeben hatte, war sie mir nicht mehr von der Seite gewichen. Aus diesem Abend entwickelte sich eine einundzwanzigmonatige Liaison, während der ich bei meinen Eltern auszog und mit ihr eine gemeinsame Bleibe anmietete. Anfangs war es sehr aufregend. Die ersten Wochen befürchteten die Nachbarn wahrscheinlich das Allerschlimmste, da wir nach dem Einzug mindestens dreimal täglich Lust aufeinander hatten. Im Laufe der Zeit regulierte sich das, bis wir auf eine Frequenz von höchstens zweimal wöchentlich kamen. Damit begannen unsere Probleme.
Ich fand einen Hinweis, dass sie sich für einen anderen Mann interessierte, und machte ihr diesbezüglich Vorwürfe. Sie stritt zwar alles ab, aber die Beziehung war in meinen Augen nicht zu retten. Um meine Angst, von ihr verlassen zu werden, zu besiegen, vollzog ich den einzig logischen Schritt: Ich verließ sie, bevor sie mir das Herz brechen konnte. Heimlich räumte ich mein Eigentum aus der Wohnung und meldete mich nicht mehr bei ihr. Von Freunden erfuhr ich, dass sie durch die Hölle gegangen war, weil sie das Ende lange nicht akzeptieren konnte. Laut diesen Freunden war der Kerl, der meine Eifersucht ausgelöst hatte, ihr neuer, attraktiver, stockschwuler Chef gewesen. Ich glaubte ihnen nicht.
Doch falls mir Nicole heute diese Erklärung bestätigt, werde ich alles daransetzen, dass sie mir verzeiht. Ihr Name steht auf dem Klingelschild unten links. Ist sie an einem Freitagvormittag überhaupt zu Hause? Oder arbeitet sie und mein Auftauchen stellt sich als vergeblich heraus? Es wäre schön, mich bei ihr entschuldigen zu können, sofern mein damaliges Misstrauen unbegründet und mein plötzliches Verschwinden somit unangemessen war. Natürlich drehe ich mit einer solchen Abbitte die Uhr nicht zurück und tilge meinen Fehler. Wenn ich ihr jedoch erläutern könnte, wie ich mich aufgrund meines Verdachtes gefühlt hatte, wird sie möglicherweise Verständnis aufbringen und mir vergeben.
Um meine Nervosität zu bekämpfen, pfeife ich eine Melodie, während ich auf die Klingel drücke. Der Summer ertönt, ich lehne mich gegen die Tür, die nach innen aufspringt. Ein vierstufiger Treppenabsatz führt in das Hochparterre. Gerade in dem Moment, als ich vor der grauen Wohnungstür ankomme, öffnet sie sich. Ich erkenne Nicole sofort wieder, obwohl ihre Haare kürzer sind und ihr Gesicht etwas mehr Falten hat, da sie sich ansonsten kaum verändert hat.
»Hallo«, begrüße ich sie lächelnd.
Sie reißt ihre Augen auf. »Sven?«, fragt sie ungläubig.
Ich nicke. Mein Lächeln fällt in sich zusammen, als sie die Tür zuknallt.
»Verpiss dich!«, äußert sie ihr Bedürfnis nach meiner räumlichen Abwesenheit sehr deutlich. Immerhin gedämpft durch die unüberwindliche Barriere zwischen uns.
»Können wir reden?«, bitte ich sie.
»Scher dich zum Teufel, Arschloch! Lass dich hier nie wieder blicken!«
Vor allem ihr Tonfall signalisiert mir, dass sie es
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