595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Transporteurtätigkeit kennen. Sie arbeitete vormittags als Sekretärin für eine Firma, die regelmäßig meine Dienste in Anspruch nahm. Irgendwann kamen wir ins Plaudern, während ich die Pakete mit Aufklebern versah. Aus dem ersten kurzen Plausch entstanden längere Unterhaltungen, in denen ich von ihrem siebenjährigen Sohn erfuhr und dass sie genauso alt war wie ich: siebenundzwanzig.
Nach ein paar Wochen erwähnte sie, in Scheidung zu leben, daraufhin bat ich sie beim folgenden Aufeinandertreffen um ein Date. Sie sagte ohne ein Zögern zu. Wir verabredeten uns in einem Restaurant, ihre Eltern passten auf den Enkel auf. Es wurde ein wunderschöner Abend, dem vier weitere folgten, bevor sie mir ihr Kind vorstellte. Mit Daniel verstand ich mich auf Anhieb, was mir schließlich die Eintrittskarte in ihr Bett bescherte. Ich hatte das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein.
Ein halbes Jahr danach zog ich zu ihnen. Daniel und ich unternahmen rasch allein etwas zusammen, aber vor allem liebte er es, wenn ich ihm vorlas. Aus Büchern, die ich oft furchtbar fand, ihm jedoch gefielen. Eines Tages – ich steckte auf dem Weg zu einem Kunden im Stau –, hatte ich die Idee für eine Kindergeschichte. Nachdem ich mich wieder einmal über einen schlechten Plot geärgert hatte, schrieb ich meinen Einfall nieder und las ihm die zehnseitige Abenteuergeschichte vor. Er war begeistert. Auch Melanie beeindruckte meine Fantasie. Ich entdeckte ein neues Hobby. Zu seinem neunten Geburtstag schenkte ich ihm einen achtzigseitigen Roman, den ich in einem Zeitraum von sechs Wochen in den Computer getippt hatte. Er und seine Freunde spielten neben zahlreichen Dinosauriern die Hauptrollen und es wurde für eine ganze Weile sein Lieblingsbuch. Als Melanie mich aufforderte, meine Geschichte an Buchverlage zu schicken, zierte ich mich zuerst, bis ich ihrem sanften Drängen nachgab.
Die Absagen frustrierten mich, doch das war nichts im Vergleich zu dem Hochgefühl, als ein kleinerer Verlag zusagte. Meine Kinderbuchschriftstellerkarriere stand in den Startblöcken, damals schien es mir der beste Beruf der Welt zu sein. Mein Leben war perfekt. Ich hatte die tollste Frau an meiner Seite, als Zugabe quasi einen liebenswerten Sohn erhalten, und lebte meine Kreativität aus. Leider hielt dieses Glück nicht ewig.
Sie wohnt in einer Dreizimmereigentumswohnung, die sie bei Daniels Geburt von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte. Mit unsicheren Schritten nähere ich mich der Haustür. Soll ich meine Versöhnungstour lieber abbrechen? Melanie hatte mir sehr viel bedeutet, ein Fehlschlag wie zuvor würde mich schwer treffen. Trotzdem bringe ich die Kraft auf, die Klingel zu betätigen. Kurz darauf erkundigt sie sich durch die Gegensprechanlage, wer vor der Tür steht.
Panik erfasst mich. Ich bin versucht, einfach fortzulaufen.
»Hallo?« Ungeduld schwingt in ihrer Stimme mit.
Ich räuspere mich. »Sven hier. Hallo Melanie.«
»Sven?«
Ehe ich erklären kann, was ich mit meinem Überraschungsbesuch bezwecke, drückt sie mir auf.
Die Wohnung befindet sich in der zweiten Etage, vom letzten Treppenabsatz aus sehe ich sie bereits. In den zurückliegenden vierundzwanzig Monaten hat sie sich nicht verändert. Ihre kupferroten, gelockten Haare reichen ihr über die Schulter, ihre sommersprossige Haut hat einen hellen Teint, sie trägt eine pastellfarbene Bluse und eine enge Jeans, die ihre sportliche Figur unterstreicht.
Zur Begrüßung nimmt sie mich in den Arm. Ich atme ihren Duft ein, den ich immer gemocht hatte.
»Können wir reden?«
Sie zögert einen Moment, ehe sie mich mit einer Handbewegung hereinbittet. »Tritt ein.«
Ich folge ihr in die Wohnung, die ich fast sieben Jahre selbst bewohnt habe. Ähnlich wie in meiner Grundschule überfluten mich beim Betreten unzählige Erinnerungen. Bei Melanie hatte ich geglaubt, die Frau meines Lebens getroffen zu haben: hübsch, intelligent, einfühlsam und an ihren Mitmenschen interessiert. Ich hatte meine Königin gefunden.
»Ist Daniel da?«, löse ich mich aus der Vergangenheit, weil ich spüre, wie Schwermut mein Herz lähmt.
»Nein. Trifft sich mit Freunden.«
Ich nehme einen sorgenvollen Unterton wahr.
»Ich muss dir was zeigen!« Sie führt mich in sein Zimmer. Früher klebten an den Wänden Poster unseres Fußballvereins – eine Leidenschaft, mit der ich ihn infiziert hatte. Nun hängen dort Plakate von martialisch aussehenden Männern in Kampfsportposen.
»Er entgleitet mir«, seufzt
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