595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
offenem Mund mustert er den Zustand des Kellers.
»Und da nennst du mein Zimmer eine Müllkippe?«, wundert er sich.
»Sollte es bei dir je so aussehen, ziehst du aus!«
Unauffällig wische ich Spinnweben von meinem Ärmel. »Leihen Sie mir Ihre Luftpumpe?«
Nach dem Aufpumpen der völlig platten Reifen radeln wir los. Anfangs bereitet es mir Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, doch mit jedem Meter, den wir zurücklegen, gewinne ich an Sicherheit. Weil wir wegen des Jungen kein allzu schnelles Tempo fahren, bekomme ich sogar genug Atem, um mich mit den beiden zu unterhalten.
»Mein Sohn hat mir erzählt, Ihre Freundin sei verreist?«, erkundigt sich Katharina. In ihrer Frage schwingt die Neugier mit, zu erfahren, weshalb ich zu Hause geblieben bin.
»Sie ist zu ihrer Familie gefahren«, erfinde ich eine passable Ausrede, um ihre Abwesenheit zu erklären.
»Wir haben gestern mit
Konstantin Klever
angefangen«, sagt Noah. »Tolles Buch!«
Ich mag den kleinen Kerl!
»Wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Ideen?«
Ich erzähle ihnen davon, wie die Geschichten mich finden. Bei Ausflügen in der Natur, wenn ich auf dem Balkon sitze und manchmal beim Warten an einer Supermarktkasse.
Bei dem Hinweis auf ihren Job lacht Katharina. »Die einzigen Storys, die mir da einfallen würden, wären bluttriefende Thriller.«
»Also verbinden Sie mit Ihrem Job positive Erlebnisse«, schlussfolgere ich.
»Piep, piep, piep«, imitiert sie Scangeräusche. »Mehrere Tausend Mal in der Woche. Man lernt mit der Zeit, es auszublenden, aber richtig befriedigend ist die Arbeit nicht.«
»Warum suchen Sie sich nichts anderes?«
»Gar nicht so einfach, sofern man aufgrund seines Kindes zeitlich flexibel bleiben muss. Außerdem habe ich fantastische Kolleginnen. Und eine Tätigkeit im Büro wäre nichts für mich.«
Wir nähern uns den Ausläufern eines Naturschutzgebietes. Noah zischt mit einem Zwischenspurt an uns vorbei. Obwohl er hinter einer Abbiegung verschwindet, wirkt Katharina keineswegs besorgt. Offensichtlich gibt sie ihm diesbezüglich den notwendigen Freiraum, um Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Kurz darauf erreichen wir unser Ziel: eine große Grasfläche, auf der wir eine karierte Wolldecke ausbreiten. In dem geflochtenen Weidenkorb, den meine Nachbarin auf ihren Gepäckträger mitgeführt hat, befinden sich Geschirr, belegte Brötchen, Muffins, Orangensaft und Wasser. Die Sonne scheint wieder einmal von einem wolkenlosen Himmel herab. Seit meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus sorgt ein stabiles Frühsommerhoch für perfektes Wetter.
Nach dem Picknick zieht der Junge das Frisbee aus seinem Rucksack und fordert uns zum Spielen auf. Wir stellen uns in einem Dreieck auf und werfen uns gegenseitig die Scheibe zu.
»Die ist für dich, Mami!«, ruft Noah.
Wir drei bilden ein so gutes Team, dass die Scheibe seit siebenundvierzig Würfen nicht mehr auf dem Boden gelandet ist. Diesmal rutscht ihm allerdings das dunkelblaue Spielgerät aus der Hand, es fliegt eher in meine Richtung.
»War ein Witz!«, fügt er rasch hinzu. »Die ist für Sven.«
»Nein!«, widerspricht seine Mutter, auf mich zu rennend. »Ich fang sie!«
Auch ich laufe los, da in mir der Ehrgeiz erwacht ist, fünfzig Würfe ohne Unterbrechung zu meistern. Konzentriert folge ich der Flugbahn. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie ich mich Katharina nähere.
»Weg da!«, befiehlt sie mir.
»Achtundvierzig«, kündige ich an.
Mit links greife ich zu, im gleichen Moment prallt Katharina gegen mich. Durch den Körperkontakt gerate ich aus dem Gleichgewicht, rudere zwar noch mit den Armen, kann den Sturz jedoch nicht verhindern. Ich plumpse auf die Erde, das Gras dämpft meinen Aufprall. Gleichzeitig ertönt ein überraschtes Quieken gefolgt von einem harmlosen Fluch. Dann landet meine Nachbarin auf mir und presst mir die Luft aus den Lungen.
»Uff«, stöhne ich.
»Das ist Ihre Schuld! Die Scheibe war für mich gedacht.« Auf mir liegend, sieht sie mich vorwurfsvoll an. Unsere Augen sind keine vierzig Zentimeter voneinander entfernt und ich fürchte, mich darin zu verlieren. Mein Herz schlägt schneller als nötig, meine Schweißdrüsen erhöhen die Produktion, natürlich alles ein Resultat des Frisbeespiels.
»Tun Sie mir einen Gefallen?«, frage ich und täusche vor, keinen Atem zu bekommen, obwohl sie viel zu wenig wiegt, um ernsthaften Sauerstoffmangel hervorzurufen.
»Bitten Sie mich, aufzustehen?«, erkundigt sie sich mit kokettem
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