6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
ausgemachte Dummköpfe“, räumte Sandro scheinbar ernst ein. „Aber es gibt mehr sehende als blinde Dummköpfe. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir als Blinde unsere Dummheiten nicht ausleben sollen. Die Zeiten haben sich geändert. Genauso wie alle anderen Menschen haben wir das Recht, uns wie Idioten zu benehmen.“ „Ja, und dieses Recht werden wir uns nicht mehr nehmen lassen“, bekräftigte Celia.
„Viele Menschen denken so wie Sie.“ Sandros nachsichtiger Ton brachte Francesco zur Weißglut. „Sie glauben, Blinde sollten ihren Platz in der Gesellschaft kennen und dankbar sein, dass man ihnen überhaupt erlaubt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Unsere Firma hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit diesem Vorurteil aufzuräumen.“
„Das Recht, Dummheiten zu begehen, müsste im Gesetz verankert sein“, meinte Celia.
„Warum das denn? Du schaffst es doch auch ohne Gesetz glänzend“, stellte Francesco gereizt fest. „Celia, ich befürchte, dein Freund hat ein ernsthaftes Problem. Er ist zu vernünftig.“ Sandro schüttelte den Kopf.
„Ich weiß“, antwortete sie betrübt. „Ich habe versucht, ihn zu heilen, doch es ist vermutlich zu spät.“ „Hört ihr beide endlich mit dem Unsinn auf?“ Francesco kochte vor Wut. „Die anderen Gäste werfen euch schon besorgte Blicke zu.“
„Das stört uns nicht, wir sehen sie ja nicht“, entgegnete Sandro unbekümmert.
Dieses wir gab Francesco einen Stich. Es reichte ihm endgülti g. Die beiden lebten in ihrer eigenen Welt, er hatte hier nichts mehr verloren. „Gut, ich werde hier nicht mehr gebraucht und lasse euch allein, damit ihr euch ungestört unterhalten könnt.“
„Wir gehen auch“, entschied Celia und fügte an Sandro gewandt hinzu: „Hast du alles mitgebracht?“ „Ja.“
„Dann hören wir es uns bei mir zu Hause an.“
„Ich kann euch mitnehmen“, bot Francesco höflich an, obwohl es ihn innerlich fast zerriss. Zwar würde er auf diese Weise erfahren, wo sie wohnte, aber er wäre zugleich gezwungen, mit anzusehen, wie sie einen anderen Mann in ihre Wohnung mitnahm.
„Ich wohne in der Via Santa Lucia, in der Nähe vom Hafen“, erwähnte sie beim Einsteigen. „Am schnellsten kommt man von hier …“, begann Sandro.
Francesco unterbrach ihn ungeduldig. „Sie brauchen mir den Weg nicht zu beschreiben, ich kenne mich in Neapel aus.“
„Es war ursprünglich meine Wohnung, ich habe sie umbauen lassen. Ich war gerade ausgezogen, als Celia mit der Suche anfing, und sie …“
„Schon gut, ich verstehe“, fiel Francesco ihm wieder ins Wort.
Wenig später hielt er vor dem großen Apartmenthaus an.
„Vielen Dank fürs Mitnehmen“, bedankte Sandro sich. „Wir kommen jetzt allein zurecht, sie wohnt im Erdgeschoss. Einen schönen Abend noch.“
Francesco verabschiedete sich höflich, blieb aber im Wagen sitzen und blickte hinter den beiden her. Vergeblich wartete er darauf, dass im Erdgeschoss das Licht anging. Schließlich fiel ihm ein, dass die beiden ja kein Licht brauchten. Sie lebten in ihrer eigenen Welt und hatten ihn sicher längst vergessen.
5. KAPITEL
„Ich habe beschlossen, Celia zum Abendessen einzuladen, ich möchte sie besser kennenlernen“, verkündete Hope drei Tage später.
Francesco rang sich ein Lächeln ab. „Das ist sehr nett von dir, aber sie wird die Einlandung wahrscheinlich nicht annehmen.“
„Wieso nicht? Sie geht gern aus, wie sie mir erzählt hat. Außerdem hat sie schon zugesagt. Sie hat mir ihre Telefonnummer gegeben, und ich habe sie gestern Abend angerufen.“
Wieder einmal hatte Hope vollendete Tatsachen geschaffen. Doch dieses Mal würde er sich wehren. Da er Celia seit ihrem Besuch in der Villa nicht mehr gesehen und nichts von ihr gehört hatte, musste er seiner Mutter diesen Plan ausreden.
„Ich bin dagegen, dass …“
„Wir müssen uns nur noch auf einen Tag einigen“, unterbrach sie ihn. „Klär bitte mit ihr ab, ob es ihr Samstagabend passt.“
„Warum sprichst du nicht selbst mit ihr? Ihr scheint euch gut zu verstehen.“
„Sie soll wissen, dass du dahinterstehst. Du kennst sie schließlich besser als ich.“
„Da bin ich gar nicht so sicher“, murmelte er undeutlich.
„Heute bist du wieder richtig schwierig. Dann mache ich es eben selbst und schicke ihr eine E-Mail.“ „Du hast auch ihre E-Mail-Adresse?“
„Klar. Warum überrascht dich das? Sie hat mir erklärt, wie der Computer ihr die Nachrichten übermittelt und wie sie selbst E-Mails
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