6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
der Diskussion, die verschiedene Themen streifte. Sie fühlte sich in ihrem Element, und alle bewunderten ihr Fachkenntnisse und ihren scharfen Verstand.
Besonders Carlo hörte ihr aufmerksam zu. Als Archäologe war er jahrelang durch die Welt gereist. Er hatte eine blendende Karriere vor sich gehabt, die er Della zuliebe aufgegeben hatte. Nach der Hochzeit hatte er die Leitung des archäologischen Museums von Neapel übernommen und es sich zur Aufgabe gemacht, die Institution von Grund auf umzugestalten. Das war ihm so gut gelungen, dass er inzwischen als Autorität auf diesem Gebiet galt.
„Ich finde es schade, dass es in Museen so wenig Anschauungsmaterial für Blinde gibt“, meinte er. „In dieser Hinsicht könntest du mich doch sicher beraten, Celia.“
„Das würde ich gern.“
„Die Beschreibungen der einzelnen Ausstellungsstücke, die auf Band gesprochen sind, vermitteln höchstens eine vage Vorstellung. Ich habe eine Zeit lang dafür gesorgt, dass blinde
Museumsbesucher die Gegenstände berühren konnten, aber das hat die Mitglieder des Kuratoriums auf den Plan gerufen. Sie haben es untersagt, weil sie befürchteten, wertvolle Stücke könnten zu Bruch gehen. Der einzige Besucher, der jemals etwas zerbrochen hat, war ausgerechnet der erwachsene Sohn eines Kuratoriumsmitglieds, der sehr gut sehen kann – oder gekonnt hätte, wenn er nüchtern gewesen wäre“, fügte er zur allgemeinen Erheiterung hinzu.
„Du könntest doch Kopien anfertigen lassen“, schlug Francesco vor.
„Das habe ich versucht, aber sie entsprechen in den meisten Fällen nicht dem Original“, antwortete Carlo.
„Ich habe etwas anderes gemeint. Mithilfe der entsprechenden Computersoftware kann man originalgetreue Nachbildungen anfertigen lassen. Wenn sie beschädigt werden, ist es kein Drama. Du lässt einfach neue machen. Das wäre nicht nur für blinde, sondern für alle Besucher interessant.“ „Das ist eine glänzende Idee“, stimmte Celia ihm begeistert zu.
„Du bist genial, lieber Bruder.“ Carlo sah ihn lächelnd an.
„Er stellt sein Licht gern unter den Scheffel.“ Celia war plötzlich sehr glücklich, so als hätte Francesco wieder einen großen Schritt auf sie zugemacht. Und als er unter dem Tisch ihre Hand nahm, bekam sie Herzklopfen. Ich habe mich getäuscht, uns stehen immer noch alle Möglichkeiten offen, dachte sie voller Freude.
Am Ende des Abends konnte sie sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Ich hoffe, du magst mich gern nach Hause fahren.“
„Natürlich bringe ich dich nach Hause. Ich hole nur noch deine Jacke.“ Er wollte ins Wohnzimmer gehen, blieb jedoch stehen, als er mitbekam, dass Carlo und Della sich stritten. Er legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter.
„Sei vorsichtig. Es kann eine Falle sein zu glauben, man würde stets das Richtige tun.“
„Sprichst du aus Erfahrung?“
„Ja.“ Er erklärte den beiden mit wenigen Worten, weshalb Celia und er sich getrennt hatten. „Ich wollte ihr helfen und sie beschützen. Leider hat sie das zur Verzweiflung gebracht. Passt einfach auf, dass euch nicht dasselbe passiert“, fügte er hinzu und holte endlich Celias Jacke.
Carlo legte Della den Arm um die Schulter, und sie sah ihn liebevoll an. „So viel Einfühlungsvermögen hätte ich Francesco gar nicht zugetraut. Warum du immer behauptest, er sei hart und unzugänglich, ist mir rätselhaft. Ich finde ihn ausgesprochen lieb und nett, er scheint sehr sensibel zu sein.“ „Vielleicht haben wir alle ihn falsch eingeschätzt“, gab Carlo zu.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging Francesco Celia und Jacko voraus zu seinem Wagen, ließ den Hund auf den Rücksitz springen und hielt ihr die Beifahrertür auf. Unterwegs schlug er vor: „Morgen hole ich dich ab, erkläre dir in meinem Büro die Arbeitsabläufe, und dann besprechen wir, was ich verbessern kann.“
„Morgen bin ich leider schon ausgebucht“, erwiderte Celia mit echtem Bedauern in der Stimme. „Das hätte ich mir denken können. Was hast du vor?“
„Sandro und ich wollen das Angebot für Blinde erweitern und prüfen zurzeit neue Möglichkeiten“, formulierte sie absichtlich vage.
„Ich fahre dich, wenn du möchtest.“
„Ohne zu wissen, worum es geht?“
„Muss ich es wissen?“
„Vielleicht bist du mit unseren Plänen nicht einverstanden.“
„Du bist eine erwachsene Frau und weißt, was du tust. Da mische ich mich nicht mehr ein.“ Er wollte seinen guten Willen zeigen und fand
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