6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
Prompt stieß sie mit dem Kopf gegen den Türrahmen.
„Celia …“
„Es ist nicht schlimm.“
„Doch. Deine Lippe blutet. Komm her.“
Sekundenlang kämpfte sie mit sich, ehe sie nachgab und sich von ihm zum Sofa führen ließ. „Ich stoße oft gegen irgendwelche Gegenstände, die im Weg herumstehen“, versuchte sie zu scherzen.
„Das stimmt nicht, jedenfalls habe ich es noch nicht mitbekommen. Es war meine Schuld, es tut mir leid …“
„Du kannst wirklich nichts dafür. Warum nimmst du dir alles so sehr zu Herzen, Francesco?“ „Das tue ich doch gar nicht.“ Er schüttelte den Kopf, wie um das Durcheinander in seinen Gedanken zu ordnen. „ Ich enge dich ein, du hast das Gefühl zu ersticken, und ich fange an zu begreifen, was ich dir antue. Ich habe mich schon wieder in einen Gefängnisaufseher verwandelt, nicht wahr?“ „Francesco, das habe ich nicht behauptet.“
„Heute Abend nicht, aber als wir uns in London getrennt haben.“
„Daran erinnerst du dich noch? Ich habe den Begriff nicht gebraucht, das hast du selbst getan, aber ich habe dir indirekt zugestimmt. Das war ziemlich gemein von mir.“
„Es war die Wahrheit und musste ausgesprochen werden. Du warst schon lange unzufrieden mit der Situation, hast dich jedoch nie beschwert und alles geschluckt.“
„Nein …“
„Celia, normalerweise bist du ein offener und ehrlicher Mensch. Versteh das bitte als Kompliment. An jenem Abend nach deinem Tauchausflug hast du mir vorgehalten, du fühltest dich wie in einem Gefängnis. Es klang nicht wie ein spontaner Einfall, sondern eher so, als hättest du es schon lange so empfunden. Wenn wir früher darüber geredet hätten, wer weiß …“ Er verstummte.
„Ja, vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir früher darüber geredet hätten“, stimmte sie ihm rau zu.
In dem Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, strich er ihr behutsam mit der Hand über das Haar. Unvermittelt drehte sie sich zu ihm um, und seine Hand berührte ihre Wange. Sekundenlang verloren sie sich in Erinnerungen.
„Celia“, flüsterte er schließlich.
Sie hob den Kopf und schien ihn anzusehen. In ihren ausdrucksvollen Augen spiegelte sich alles, was sie gehabt und verloren hatten.
Er sehnte sich danach, sie zu trösten und ihr zu versprechen, dass er sich ändern würde. Aber das konnte er nicht, solange er mit sich nicht im Reinen war. Er musste sie gehen lassen, sie kam ohne ihn besser zurecht.
„Noch nicht“, bat sie ihn leise. „Bitte, noch nicht.“
Ja, sie wusste wirklich alles. Vielleicht war sie seinetwegen nach Neapel gekommen, in der Hoffnung, sie könnten noch einmal von vorne anfangen. Aber ihm war jetzt klar, dass es nichts mehr zu hoffen gab.
„Nein, noch nicht“, flüsterte er. „Wir lassen uns Zeit.“
Sie konnten noch etwas länger auf ein Wunder hoffen, das nicht geschehen würde. Und sie konnten den schmerzlichen Moment der endgültigen Trennung noch hinausschieben.
Francesco ging ins Badezimmer und kam mit einem feuchten Waschlappen zurück, um ihre verletzte Lippe zu reinigen.
Dann zogen sie sich an, weil sie sich plötzlich unbehaglich fühlten. Als es kurz darauf an der Tür läutete, bat Celia ihn, zu öffnen.
Vor ihm stand ein etwa fünfzigjähriger Mann, der sehr nervös zu sein schien.
„Wohnt hier Signorina Ryland?“, fragte er. „Könnte ich sie sprechen?“
Jacko, der friedlich in seinem Korb geschlafen hatte, hob den Kopf und spitzte die Ohren, ehe er leise bellte.
Mit gerunzelter Stirn kam auch Celia an die Tür.
„Signorina“, begann der Mann mit ernster Miene, „ich bin Antonio Feltona und möchte Sie um einen Gefallen bitten.“
Der Name kam ihr bekannt vor, und plötzlich dämmerte es ihr. „Es geht um Jacko, nicht wahr?“ „Ja. Ich habe ihn abgegeben, weil ich wieder besser sehen konnte.“
„Man hat ihn mir gegeben, weil ich einen Hund brauche, der sich in der Stadt auskennt“, erwiderte sie. „Möchten Sie sich vergewissern, dass es ihm gut geht?“
Jacko wollte offenbar nicht länger warten. Freudig bellend kam er angesprungen und begrüßte seinen früheren Besitzer stürmisch. Antonio beugte sich zun ihm hinunter. Er umarmte den Hund liebevoll und kraulte ihn zwischen den Ohren.
„Jetzt wissen wir, was ihm die ganze Zeit gefehlt hat“, meinte Francesco.
„Ihm hat etwas gefehlt?“ Der Mann sah ihn fragend an.
„Er wirkt etwas lustlos und nicht wirklich glücklich“, erklärte Francesco.
„Das glaube ich gern.“
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