60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Falten und von einer vollständig reinen Weiße. Ihre Wangen zeigten einen Anflug von Inkarnat, welchen selbst die Schwermut nicht auszulöschen vermocht hatte. Das Blau ihrer Augen glich noch immer demjenigen des Himmels. Ihr Nacken, ihre Schultern und ihre vollen, schönen Arme, jetzt bei dem leichten Nachtkleid entblößt, hatten einen gedämpften, schneeigen Glanz, und ihre Taille, von keinem Mieder gehalten, zeigte noch immer jene Plastik, welche man an Perserinnen und den Mädchen der Hindus bewundern kann.
So stand sie da, rein, keusch und hell, umflossen von der Flut ihres goldig glänzenden Haares. Hätte Gustav Brandt, ihr Milchbruder und Jugendgespiele sie gesehen, er hätte ausgerufen:
„Mein Sonnenstrahl, mein lieber, süßer Sonnenstrahl!“
Noch glitten ihre rosigen Finger durch das leuchtende Haar, noch stand sie da vor dem Spiegel in der ganzen Pracht ihrer fast unverhüllten Schönheit, da klopfte es leise und dann etwas lauter an die Tür.
„Ja! Herein!“ rief sie.
Sie glaubte, die Zofe sei es. Aber als nun die Tür sich öffnete, da flog sie einige Schritte zurück; sie wurde erst blaß, dann glühend rot; sie streckte die Arme abwehrend von sich; sie öffnete den Mund, um zu sprechen, vielleicht einen Hilferuf auszustoßen, aber die Stimme versagte ihr. Sie hatte vor Schreck und Scham sogar für Augenblicke die Bewegung verloren.
Der Fürst von Befour stand unter der Tür.
Er zog dieselbe langsam hinter sich zu, verbeugte sich in ehrerbietigster Weise tief vor ihr, ergriff einen nahe liegenden Pudermantel, hing ihn ihr um die herrlichen, eine fast fühlbare Wärme ausstrahlenden Schultern und sagte dann lächelnd:
„Sie sehen, verehrte Baronesse, wir Inder kommen und gehen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Keine Mauer ist uns zu dick und kein Schloß zu fest. Wir sind imponderabel.“
Erst jetzt fand sie die Sprache und Bewegung wieder. Sie hüllte sich dicht in den Mantel, zog die Stirn kraus und antwortete:
„Das scheint in Indien gebräuchlich zu sein, Durchlaucht; doch bitte ich, zu bedenken, daß Sie sich gegenwärtig nicht mehr im Orient befinden.“
Er verbeugte sich abermals und antwortete dann:
„Ich habe das bedacht, Baronesse. Sie können sich denken, daß mich nur eine ganz außergewöhnliche Veranlassung zu einem so ungewöhnlichen Schritt getrieben haben kann. Ich komme, Ihnen meinen Schutz anzubieten.“
„Ihren Schutz?“ fragte sie erstaunt.
„Ja. Baronesse, meinen Schutz. Ich hoffe, er wird ausreichen.“
„Durchlaucht, ich begreife nicht. Ich kenne keine Gefahr, in welcher ich mich befinden könnte.“
„Ich weiß, daß Sie keine Ahnung haben, ich aber habe das Glück gehabt, diese Gefahr bereits in ihrem Entstehen zu erkennen und dann zu verfolgen.“
„Dann bitte, sprechen Sie.“
„Man hat Nachschlüssel zu allen Schlössern Ihrer Wohnung angefertigt, um –“
„Nachschlüssel?“ unterbrach sie ihn. „Gott, will man einbrechen? Will man mich bestehlen?“
„Ja. Man hat in Erfahrung gebracht, daß Sie gegenwärtig eine bedeutende Summe Geld bei sich liegen haben.“
„Das ist wahr. Aber wie hat man dies erfahren können?“
„Ich weiß es nicht, doch ist sicher, daß der ‚Hauptmann‘ seine Spione in allen Kreisen der Gesellschaft hat.“
War sie bereits vorhin auf das tiefste erschrocken, so fühlte sie jetzt eine ganz entsetzliche Angst.
„Der Hauptmann“, hauchte sie mit fast ersterbender Stimme.
„Ja. Seine Leute stehen bereits unten vor dem Haus. Sie warten nur, bis Sie Ihr Licht verlöscht haben, um dann ihre Arbeit zu beginnen.“
„Einbrechen! Einbrechen! Vielleicht gar noch mehr, noch mehr.“
„Allerdings, Baronesse. Sie sollen ermordet werden.“
„Ermordet? Gott, mein Gott!“
Es wurde ihr schwarz vor den Augen, und vor ihren Ohren summte es. Sie begann zu wanken. Er trat rasch hinzu und nahm sie in seine Arme. Einige Augenblicke lang lag ihr Kopf mit all der Herrlichkeit der goldenen Haareswogen an seiner Schulter; einige Augenblicke lang fühlte er ihren Busen an seinem Herzen, dann aber übermannte er die auf ihn einstürmenden Gefühle und ließ sie in die Kissen des nahen Sofas gleiten.
Sie war nicht ohnmächtig, es war nur eine vorübergehende Schwäche, infolge des Schreckes über das plötzliche, rätselhafte Erscheinen dieses Mannes und über seine Unglücksbotschaft.
„Ich danke“, hauchte sie. „Ist es wahr, was Sie mir mitteilen?“
„Ja“, antwortete er, auf einem Stuhl Platz nehmend.
Weitere Kostenlose Bücher