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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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andere Polizist. –
    Nachdem der ‚Hauptmann‘ über die Mauer des heimlichen Versammlungsortes wieder auf die Straße geklettert war, begab er sich nach der Frohnveste. Er langte kurz vor zwölf bei dem Pförtchen an, hatte aber bis weit über Mitternacht zu warten, bis es leise geöffnet wurde. Zwei Männer traten heraus, der Riese und der Schließer. Der letztere flüsterte:
    „Sind Sie da? Ja. Ich wage viel!“
    „Gar nichts!“ antwortete der Hauptmann.
    „Werden Sie ihn mir wirklich wiederbringen?“
    „Gewiß!“
    „Wann?“
    „Punkt drei Uhr.“
    „Ich tue es aber zum letzten, zum allerletzten Mal!“
    „Man wird es auch nicht öfters verlangen.“
    „Und das Geld?“
    „Hier sind hundert Taler. Adieu einstweilen!“
    Er drückte ihm die abgezählte Summe in die Hand und zog dann den Riesen mit sich fort. Unter den Bäumen blieb er mit ihm stehen.
    „Was soll's heute wieder?“ fragte Bormann mißmutig.
    „Deine Rettung!“
    „Pah! Wohl wie gestern wieder?“
    „Unsinn! Das war ein dummer Fall! Ihr seid selber schuld!“
    „Inwiefern?“
    „Ich wende eine solche Summe auf, um dich durch den Beweis zu retten, daß es einen zweiten gibt, der dir ähnlich ist; ich sage sogar, daß ihr das ganze Geld behalten sollt, und ihr laßt euch von einem einzelnen Menschen in das Bockshorn jagen! Hättet ihr ihn niedergeschlagen!“
    „Donnerwetter! Hauptmann, es war der Fürst des Elends!“
    „Das habt ihr mir bereits heute nacht erzählt. Ich glaube es nicht.“
    „Aber ich glaube es! Er stand mit zwei Revolvern vor uns. Hätte ich mich bewegt, so wäre ich in demselben Augenblick eine Leiche gewesen.“
    „Wir wollen nicht rechten. Vorüber ist vorüber. Ich brauche dich notwendig; darum sollst du auf alle Fälle frei werden, aber nicht durch die Flucht, sondern durch richterlichen Spruch. Ist die eine Gelegenheit versäumt worden, so muß ich dir eine andere bieten.“
    „Ich habe verdammt wenig Lust!“
    „Was? Wie? Du willst nicht frei werden?“
    „Herzlich gern; aber nicht auf diese Weise!“
    „Auf eine andere geht es nicht.“
    „Ich möchte keine Dummheiten mehr begehen.“
    Der Hauptmann trat einen Schritt zurück, schüttelte verächtlich mit dem Kopf und antwortete:
    „Pah! Eine ganz alberne Folge der Predigt, welche euch dieser Popanz, der Fürst des Elends, gehalten hat.“
    „Ich gebe aber doch zu, daß er recht hat!“
    „Meinetwegen! Folge ihm! Laß dich verurteilen! Weißt du, was du zu erwarten hast?“
    „Nun?“
    „Bis zwölf Jahre Zuchthaus!“
    „Das weiß ich. Ich brenne aber durch. Ich mache nach Amerika und werde dort ein ehrlicher Kerl.“
    „Das ist nicht so leicht, als wie du denkst!“
    „Oh, mich sollen sie nicht erwischen!“
    „Aber deine Frau?“
    Der Verbrecher senkte den Kopf und schwieg.
    „Und dein Kind!“ fügte der Hauptmann hinzu.
    Da hob der Riese den Kopf langsam empor und antwortete:
    „Meine Frau! Herr, ich habe ein braves Weib! Ich bin es gar nicht wert! Sie hat mich so lieb gehabt, und was habe ich ihr dafür gegeben? In Jammer, Schande und Elend habe ich sie gebracht. Und mein Kind, mein Junge, mein –“
    Er hielt inne. Es war über den riesenstarken Mann eine Rührung gekommen, deren er nicht Herr zu werden vermochte. Erst nach einer Weile fuhr er mit leiser, milder, beinahe zärtlicher Stimme fort:
    „Haben Sie Kinder, Herr?“
    „Nein.“
    „Sind Sie einmal gefangen gewesen?“
    „Nein.“
    „So wissen Sie nichts, gar nichts! Hauptmann, ich bin ein wilder, ein grimmiger Mensch; ich mache mir aus einem Menschenleben nichts, gar nichts. Ich habe meine Eltern zu Tode geärgert und mein Weib ins Elend gebracht; ich habe es geschlagen, oft, oft, daß es liegenblieb; ich habe gestohlen, geraubt, gemordet; ich habe gedacht, daß da unter den Rippen und Knochen nicht eine Spur von dem sei, was andere das Herz nennen! Aber, hole mich der Teufel, ich habe doch ein Herz und was für eins! Das habe ich während meiner Gefangenschaft gemerkt.“
    Er hielt abermals inne. Er hatte die Hände gefaltet, und seine Stimme war so gesunken, daß die einzelnen Worte fast nicht verstanden werden konnten. Seine Brust hob und senkte sich, und erst nach einem tiefen, tiefen Atemzug fuhr er fort:
    „Herr, mein Junge hat so blaue, blaue Augen – grad wie der Himmel! Und die Backen sind so rund und so rot! Und das Mäulchen – grad zum Küssen – zum Schmatzen, wie ich es heiße! Und die Arme und Beine, so dick, so rund, so quatschelig, daß

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