60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
erhielt. Hier ist sie.“
Er zog den Gegenstand aus der Tasche und gab ihn hin. Der Beamte warf einen Blick darauf und sagte überrascht:
„Der Fürst des Elends! Überall ist er! Alles weiß er! Er sagt nie die Unwahrheit! Der Einbruch wird wirklich verübt. Auf also, meine Herren! Nehmen Sie Totschläger mit! Einer bleibt hier! Vorher aber telegraphiere ich um Sukkurs nach der Hauptwache!“
Bei der Bewegung, welche es jetzt gab, fiel es gar nicht auf, daß der Maler sich nach einem kurzen Gruß zurückzog. Kaum eine halbe Minute nach ihm verließen auch die Polizisten das Lokal.
Nicht in einer auffälligen Truppe, sondern einzeln und möglichst unbemerkt eilten sie dem angegebenen Ort zu. Das Tor war verschlossen. Der Anführer zog es vor, zu klopfen, anstatt die Klingel zu ziehen. Der Portier war wach. Er nahte sich und fragte von innen:
„Wer klopft?“
„Die Polizei. Öffnen Sie möglichst leise!“
Der Mann schien bestürzt zu sein, denn es dauerte eine Weile, ehe das Tor aufging. Er trat unter die Öffnung und fragte:
„Wirklich Polizei?“
„Ja. Sie sehen es ja. Sprechen Sie leise. Wo schläft Fräulein von Hellenbach? Liegt das Zimmer nach der Straße oder nach dem Hof zu?“
„Nach dem Hof zu. Warum?“
„Erschrecken Sie nicht. Wir erwarten Menschen, welche dort einbrechen wollen.“
„Himmeldonnerw –!“
„Pst! Nicht so laut. Ist jemand Verdächtiger hier passiert?“
„Nein.“
„Oder durch die Hoftür?“
„Kein Mensch.“
„Hm! Ist die letztere ohne Geräusch zu öffnen?“
„Ja. Schloß und Angeln sind gut geölt.“
„Öffnen Sie! Dieser Vordereingang bleibt auch offen, und ein Mann postiert sich hier, um die Sukkur zu empfangen. Die anderen kommen mit. Vorwärts! Aber leise!“
Der Portier öffnete die Hintertür. Der Anführer trat vorsichtig in den Hof und blickte sich um. Er hatte kaum Selbstbeherrschung genug, einen Ruf des Erstaunens zu unterdrücken. Er trat zurück und meldete flüsternd:
„Sie sind bereits oben. Draußen lehnt eine Leiter. Es scheint, sie sind durch das gegenüberliegende Haus der Wasserstraße hier in den Hof eingestiegen.“
„Wollen wir ihnen auf der Leiter folgen?“ fragte einer.
„Nein“, antwortete der vor- und umsichtige Beamte. „Das wäre zu gefährlich. Derjenige, welcher von außen durch das Fenster steigen wollte, wäre den Waffen der Einbrecher preisgegeben. Sind die Türen oben verschlossen?“
„Ja“, antwortete der Portier. „Aber mein Hauptschlüssel öffnet alle.“
Da hörte man leise Schritte von außen. Die erwartete Hilfe nahte.
„Ah, da kommt Sukkurs“, sagte der Beamte. „Brennt die Laternen an! Sechs, acht, zehn, zwölf Mann! Das ist vollständig genug. Einer am Haupttore, zwei am Hintertor hier, um den Hof zu bewachen. Die anderen folgen jetzt. Vorwärts!“
Sie stiegen unhörbaren Schritts die Treppe empor. Noch waren sie kaum verschwunden, da stieß einer von den beiden, welche den Hof zu bewachen hatten, den anderen an.
„Du! Schau! Dort an der Mauer!“ flüsterte er.
Auf der Mauer, welche das Grundstück von dem hinter demselben liegenden trennte, erschien ein Mensch. Er sprang hinab und kam leisen, aber eiligen Laufes herbei.
„Er gehört zu ihnen. Wollen wir ihn festnehmen?“ flüsterte der Polizist.
„Nein, beileibe nicht!“ meinte der andere. „Laß ihn nur hinauf. Dort ist er uns sicher. Jetzt aber, wenn er Lärm machte, könnte er uns alles verderben.“
„Hast auch recht. Lassen wir ihn also hinauf.“
Sie hatten die Türe so weit zugezogen, daß nur eine schmale Lücke offen war. Durch diese betrachteten sie die Person. Sie war nicht sehr hoch und dabei schmächtig. Gesichtszüge ließen sich nicht erkennen. Er kümmerte sich gar nicht um die Tür; er eilte auf die Leiter zu. Als sie jetzt die Tür weiter öffneten und die Köpfe ein wenig vorstreckten, sahen sie ihn wie eine Katze emporklettern. Oben hielt er an und blickte durch das jedenfalls offenstehende Fenster. Dann sprang er hinein.
Einen Augenblick lang hörte man nichts. Dann aber erklang eine Stimme:
„Zurück, Bösewicht!“
In demselben Augenblick erscholl von oben ein Schrei, welcher mehr dem Brüllen eines wilden Tieres oder rasend gewordenen Stieres glich.
„Das ist der Kampf“, meinte der eine Polizist.
Sie lauschten in höchster Spannung. Das Gebrüll währte noch einige Zeit. Ein Schuß krachte; noch einer; Flüche erschollen; dann wurde es still.
„Wir haben gesiegt“, antwortete der
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