60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
wegen eines Unterkommens für sie nicht in Verlegenheit.“
Er ging. Sein Weg führte ihn nach der Ufergasse und zwar in dasselbe Haus, in welchem der Schlosser gestern abend bei Madame Pauli den vermeintlichen Kunstmaler Brenner aufgesucht hatte.
Madame Pauli, eine jener Restaurationsinhaberinnen, welche von der Schönheit ihrer Kellnerinnen leben, bewohnte das Parterre und die erste Etage. Der Vorsteher stieg noch eine Treppe höher. Dort stand an der Tür des Vorsaales zu lesen ‚Madame Groh, Rentiere‘. Er klingelte, und es wurde geöffnet. Eine große, breitschultrige Dame erschien.
„Gott grüße dich, liebe Adelheid!“ sagte er.
„Du bist es, lieber August! Herzlich willkommen! Tritt näher!“
Sie führte ihn in eine Art Salon, wo beide auf einem Sofa in vertraulicher Weise Platz nahmen.
„Nun, wie geht es mit dem Geschäft?“ fragte er.
„Wie immer! Man macht die Ansprüche nicht so groß und muß zufrieden sein.“
„Hast du genug Auswahl hier?“
„Nicht sehr. Es ist alles fort. Hast du etwas Neues?“
„Ja.“
„Gut?“
„Ausgezeichnet! Exquisit!“
„Geh! Mache mich nicht neugierig!“
„Es ist überhaupt ein eigener Fall. Das Mädchen ist brav, gut und noch niemals einer Versuchung unterlegen! Hast du von den beiden Diebstählen gehört, welche gestern vorgekommen sind?“
„Ja. Fels und Bertram.“
„Nun, Fels ist ihr Geliebter und Bertram ist Stiefbruder. Sein Stiefvater, welcher ihr richtiger Vater war, ist heute vormittag vor Schreck gestorben, als er hörte, daß sein Sohn ein Einbrecher sei. Auch auf sie hat der Schreck außerordentlich gewirkt. Sie spricht kein Wort.“
„Oh, das findet sich! Ist sie hübsch?“
„Sehr sogar!“
„Farbe?“
„Blond.“
„Gestalt?“
„Mittlere Statur, nicht gerade üppig, aber feingliedrig und voll.“
„Das ist gut! Zähne?“
„Vollständig.“
„Und wie steht es mit dem Preis?“
„Du sollst sie billig haben.“
„Gut, bring sie einmal her, sobald es dunkel geworden ist.“
„Ich werde kommen. Aber eins sage ich dir: Sie ist nämlich mein Mündel. Verstanden? Weißt du, was das bedeutet?“
„Ich weiß es. Du brauchst keine Sorge zu tragen.“
„Ich möchte mir natürlich keine Unannehmlichkeiten bereiten. Sie mag als dein Hausmädchen gelten und niemand braucht zu wissen, daß sie des Abends mit da unten bei Madame Pauli sich befindet.“
„Wird sie mir Not machen?“
„Hoffentlich nicht. Sie ist überhaupt stets ein stilles Mädchen gewesen.“
Nach einer längeren Unterredung empfahl er sich. –
Pastor Matthesius, der Gefängnisgeistliche, besuchte die Frohnveste, in welcher die Untersuchungsgefangenen inhaftiert zu sein pflegten. Als Gefängnisseelsorger hatte er Zutritt in jede Zelle. Der erste, welchen er heute besuchte, war der Riese Bormann.
Dieser lag lang ausgestreckt auf der nackten Diele und machte auch keine Anstalten, sich zu erheben, als er den Geistlichen eintreten sah.
„Nun“, sagte der letztere, „wollen Sie nicht aufstehen?“
„Nein.“
„Aber es würde wohl anständiger sein, zu stehen als zu liegen.“
„Wer hier wohnt, braucht von Anstand nichts zu verstehen!“
„Aber die Ehrfrucht vor dem Beichtvater!“
„Habe ich einmal bei Ihnen gebeichtet?“
„Leider nein.“
„Nun, so nennen Sie sich also auch nicht meinen Beichtvater!“
„So bin ich doch wenigstens Ihr Seelsorger!“
„Sorgen Sie zunächst für Ihre Seele; dann wollen wir sehen, was ich mit der meinigen mache!“
„Bormann, Bormann, Ihnen ist nichts Gutes zu prophezeien!“
„Zwanzig Jahre Zuchthaus. Dazu brauche ich keine Theologen.“
„Haben Sie sich wegen Ihrer Aussage besonnen?“
„Nein.“
„Bleiben Sie bei derselben?“
„Ja.“
„Wenn man Ihnen aber nicht glaubt?“
„So kann ich es nicht ändern. Aber, wollen Sie nicht so gut sein, mich allein zu lassen?“
„Warum?“
„Ich bin nicht gar zu sehr für Sie eingenommen!“
„Es ist meine Pflicht, die Gefangenen zu besuchen, um ihre –“
Er hielt schleunigst mitten in der Rede inne. Die lange, breite Gestalt des Riesen hatte sich aufgerichtet und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase.
„Wollen Sie etwa Keile?“ fragte Bormann.
„Nein, nein, Adieu!“
„Adieu! Nicht so bald wieder, sonst –“
Die Tür wurde verschlossen. Der Pfarrer begab sich zu dem Schließer, welcher nun selbst Gefangener war. Dieser saß, in trübes Sinnen versunken, auf seiner Pritsche. Als er den Eintretenden
Weitere Kostenlose Bücher