600 Stunden aus Edwards Leben
Reihe.
Die heutige
Polizeibericht
-Folge, die fünfundzwanzigste und vorletzte (ich liebe das Wort »vorletzte«) der vierten und letzten Staffel, heißt »Der Safeknacker« und ist eine meiner Lieblingsfolgen.
G. D. Spradlin, ein Schauspieler, der in drei Folgen von
Polizeibericht
auftritt, spielt einen Mann namens Arthur Leo Tyson, dessen Hobby es ist, Safes zu knacken. Er ist ein ehemaliger Häftling auf Bewährung, und wie sich herausstellt, vermisst er es, eingesperrt zu sein. Dieses Phänomen nennt man »Institutionalisierung«, und für mich klingt es schrecklich. Trotzdem gibt es einiges, auf das Arthur Leo Tyson sich freuen kann, wenn er wieder in »den Bau« geht. Das Baseballteam der Häftlinge von San Quentin erwartet eine gute Saison, und er will dabei sein. Das finden Sergeant Joe Friday und Officer Bill Gannon witzig, die Arthur Leo Tyson mittlerweile ins Herz geschlossen haben, obwohl er ein reueloser Verbrecher ist. Es ist schön zu denken, dass Polizisten auch mal ein bisschen menschlich sein können.
G. D. Spradlin ist ein Schauspieler mit hohem Wiedererkennungswert und hat über die Jahre in vielen Serien und Filmen mitgespielt. Er hat ein sehr markantes Gesicht, das eher rund ist, mit Falten um die Augen und ständig geschürzten Lippen – die Art von Mund, die aussieht »wie ein Hühnerarschloch«, wie mein Grandpa Sid immer sagte. Er spricht mit heiserem Südstaatenakzent, so wie mein Grandpa Sid auch. Wenn Sie mal den Film
Der Tank
mit James Garner als altem Sergeant Major gesehen haben, dann wissen Sie, wer G. D. Spradlin ist. Er spielt dort den korrupten Sheriff Buelton, und die meiste Zeit des Filmes sieht sein Mund aus wie ein Hühnerarschloch.
Ich hätte G. D. Spradlin gern geschrieben und ihn nach seinen Erlebnissen bei
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gefragt, aber er ist zu bekannt, als dass ich seine Adresse herausbekommen würde. Vor ein paar Jahren habe ich ihn im Internet gesucht, und er scheint immer noch am Leben zu sein, obwohl er schon lange in keinem Film mehr mitgespielt hat. Er wäre schon sehr alt – laut Internet achtundachtzig.
So alt wäre Grandpa Sid jetzt auch, wenn er noch leben würde.
Zeit irritiert mich.
MONTAG, 20. OKTOBER
Ich erwache um 7:38 Uhr, das 223. Mal in den 294 Tagen dieses Jahres (weil es ein Schaltjahr ist). Obwohl ich in den Normalbereich zurückzugleiten scheine, falls »normal« überhaupt definiert werden kann, fühle ich mich überhaupt nicht normal. Ich mag nicht aufstehen. Michael Stipes Kopfschmerzgrau hüllt mich ein, eine Spätfolge meiner gestrigen Spät-ins-Bett-früh-aufsteh-Aktion.
Ich drifte weg.
Ich beobachte eine Szene, an der ich nicht beteiligt bin. Joy, meine Onlinebuhle (ich liebe das Wort »Buhle«) aus Broadview steht auf einem Parkplatz, auf dem keine Autos und Pick-ups und SUVs zu sehen sind, sondern ein Haufen Leute, alle um sie herum.
Joy hält eine riesige Fernbedienung in den Händen, die wie die Fernbedienung eines Fernsehers aussieht, nur viel größer. Sie hat Knöpfe und einen Joystick. Joy hält das Ding über ihren Kopf, und die Menge hinter ihr jubelt auf. Dann fangen die Leute an zu skandieren: »Zeig es! Zeig es! Zeig es!«
Joy dreht der Menge den Rücken zu, senkt die riesige Fernbedienung und fängt an, auf Knöpfe zu drücken. An einer Hauswand über ihr und der Menge flackert ein riesiger Plasmabildschirm auf. Und da bin ich, in zehnfacher Vergrößerung, wie ich an meinem Computer-tisch sitze. Ich bin nackt. Schlimmer ist – falls irgendetwas überhaupt noch schlimmer sein kann –, dass ich beim Tippen laut gurre: »Oh, Joy. Du bist meine kleine Zwitschermeise. Du bist mein süßes Spätzchen.«
Die Menge grölt vor Lachen, und Joy dreht sich um. Sie lächelt breit, ihre Grübchen bilden kleine Löcher auf den Wangen, und ihre Augen leuchten.
Die Leute drehen sich ebenfalls alle um, zeigen mit dem Finger auf mich und lachen.
Ich sehe nach unten und bin nicht mehr auf dem Bildschirm, sondern auf dem Parkplatz, nackt.
Entsetzt blicke ich wieder nach oben. Donna Middleton steht in vorderster Reihe der grölenden Meute und lacht mich aus.
Um 10:26 Uhr erwache ich erneut. Natürlich sind meine Daten jetzt völlig vermurkst. Ich betrete vollkommen neues Terrain, also muss ich improvisieren. Ich strecke die Hand aus, greife nach meinem Notizbuch und dem Stift und notiere zwei Zeiten:
Erste Aufwachzeit: 7:38 Uhr.
Zweite Aufwachzeit: 10:26 Uhr.
Ich fühle mich weder erholt noch munter.
Nachdem ich die
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