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600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Wetterdaten notiert – gestrige Höchsttemperatur: dreizehn, Tiefsttemperatur: ein Grad Celsius, Vorhersage für heute: bis zu vierzehn Grad (was ich erst morgen sicher wissen werde) –, eine Schüssel Cornflakes gegessen und meine achtzig Milligramm Flouxetin eingenommen habe, bin ich für den Tag bereit.
    Eines muss man der Zehn-Tages-Wettervorhersage lassen: Sie war bisher goldrichtig und erlaubt es mir nun, ein weiteres Mal die Garage zu streichen, was längst überfällig ist. Das grässliche Mokkabraun ist schon drei Tage dran, und ich werde es keinen weiteren Tag tolerieren (ich liebe das Wort »tolerieren«), dass meine Garage ein Schandfleck für die ganze Nachbarschaft ist. Wenn ich mich beeile, kann ich die Zeit, die ich durch den extra Schlaf und die schlechten Träume verloren habe, wieder einholen.
    Daher beschließe ich, mich heute erst abends in
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einzuloggen, wenn ich fertig bin. Ich bin gespannt auf Joys Antwort – und um ehrlich zu sein, bin ich fast ausgeflippt (ich liebe das Wort »ausgeflippt«), dass sie in meine Träume eingedrungen ist, obwohl ich natürlich weiß, dass es keine riesigen Fernbedienungen und keine Plasmabildschirme an den Hauswänden von Billings gibt und dass ich niemals, unter gar keinen Umständen, nackt am Computer sitzen würde. Für diese Träume gibt es irgendeine Erklärung, und ich werde Dr. Buckley bitten, sie mir zu geben.
    Ich habe gelesen, dass jeder träumt, sogar Tiere. Es gibt einen eigenen Wissenschaftsbereich, Oneirologie genannt, der sich mit Traumdeutung beschäftigt. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ich vor den letzten paar Tagen nicht geträumt habe, ist äußerst gering, aber die Träume der letzten Tage kann ich einfach nicht vergessen.
    Eines meiner Lieblingslieder von R.E.M. heißt »I Don’t Sleep, I Dream« – Ich schlafe nicht, ich träume. In dem Song kommen Wörter über Träume vor, die ein Oneirologe bestimmt faszinierend fände. Ich weiß aber nicht genau, worum es dabei geht. Michael Stipe kombiniert Wörter auf eine faszinierende und seltsame Weise. Ich weiß zum Beispiel nicht, warum er in diesem Lied »hip hip hooray« singt oder was eine Tasse Kaffee mit alledem zu tun hat. Ich denke jedoch, etwas nicht zu wissen, gehört für jemanden wie Michael Stipe vielleicht dazu. Ich weiß allerdings, dass Michael Stipe auf diesem Album
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mehr über Sex gesungen hat als jemals davor oder danach. Erst heute, am 294. Tag des Jahres 2008 (weil es ein Schaltjahr ist) und vierzehn Jahre nach Erscheinen des Albums, wird mir klar, dass der Titel dieses Liedes möglicherweise mich meint.

    Bis 14:00 Uhr habe ich mit der Garage schon große Fortschritte gemacht. Das Perlgold überdeckt das Mokkabraun, und diese Farbe gefällt mir sehr viel besser. Es ist die beste der drei Farben.Ich denke, ich kann dabei bleiben, zumindest bis zum übernächsten Jahr, wenn es Zeit ist, die Garage erneut zu streichen.
    Bevor ich mich dem Garagentor widme, mache ich eine Pause. Ich öffne die Garage und betrachte das Große Projekt, das in frisch lackierter Pracht erstrahlt. Ich stupse mit dem linken Zeigefinger an den Rahmen, um Farbe und Lackierung zu testen. Ich denke, alles ist bereit.
    Ich rolle es in den Vorgarten.

    Kyle ist ein vorhersehbarer Junge, zumindest was sein Kommen und Gehen betrifft. Ich arbeite zur selben Zeit und an derselben Ecke der Garage unter dem Traufblech wie die letzten Male, als ich seine Stimme höre. Diese Verlässlichkeit beruhigt mich.
    »Wow! Was ist das?«
    Ich klettere von der Leiter und grinse. »Das weißt du nicht?«
    »Nein. Das sieht Hammer aus! Was ist das?«
    »Das ist für dich.«
    »Echt? Aber was ist das?«
    Ich erzähle Kyle eine Geschichte. Als ich etwas jünger war als er, schenkten meine Eltern mir 1977 zu Weihnachten etwas, das »Grüner Flitzer« hieß. Sie versuchten, mir weiszumachen, er käme vom Weihnachtsmann, aber die Existenz eines Weihnachtsmanns war mir nie logisch erschienen, und mittlerweile kannte ich die Wahrheit. Bis dahin hatte ich ihre Geschichte vom dicken Mann im roten Anzug, der an einem so unwirtlichen Ort wie dem Nordpol wohnt und in einer einzigen Nacht allen Kindern auf der Welt Geschenke bringt, einfach nur ertragen. Das Ganze ist grotesk.
    Als ich Kyle jetzt davon erzähle, lasse ich den Betrug mit dem Weihnachtsmann aber weg. Es ist nicht meine Aufgabe, ihn darüber aufzuklären. Er ist ein kluger Junge. Vermutlich weiß er schon, dass es ihn nicht

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