600 Stunden aus Edwards Leben
sehr sauber.«
»Ja.«
»Darf ich mich setzen?«
»Ja.«
Sie wählt den Zweisitzer an der Westseite des Hauses. Ich nehme das Sofa, das im rechten Winkel dazu steht, und setze mich auf die Seite, die am weitesten von ihr entfernt ist.
»Edward, ich möchte Ihnen noch einmal ausdrücklich für dieses … Wie heißt es? Blauer Donner? Jedenfalls möchte ich Ihnen noch einmal herzlich danken. Sie haben Kyle eine riesengroße Freude gemacht.«
»Blauer Blitz.«
»Blauer Blitz! Genau.« Donna Middleton lacht. »Jedenfalls hat Kyle damit riesigen Spaß. Er ist ganz sauer, dass er heute bei dem Regen nicht damit fahren kann.«
»Wo ist er?«
»Zu Hause. Er tröstet sich mit seiner
PlayStation 2. Guitar Hero.
Ich musste da raus. ›Slow Ride‹ kann man nur eine bestimmte Anzahl von Malen ertragen.«
»Foghat.«
»Die singen das?«
»Ja. Ich kenne
Guitar Hero
nicht. Aber der Song ist definitiv von Foghat.«
»Sie sollten mal rüberkommen und es spielen. In kleinen Dosen macht es Spaß. Aber ich bin schrecklich schlecht darin.«
»Gibt es was von Matthew Sweet oder R.E.M.?«
»Das weiß ich nicht.«
»Die höre ich am liebsten.«
»R.E.M. mag ich auch. Matthew Sweet habe ich noch nie gehört, glaube ich.«
»Er hatte diesen Song ›Girlfriend‹. Das war sein großer Hit.«
»Nein, das kenne ich nicht. Warum mögen Sie gerade R.E.M. so gern?«
Das hat mich noch nie jemand gefragt.
»Vor ein paar Jahren habe ich viel MTV gesehen. Das Video zu ›Losing My Religion‹ von R.E.M. hat mir gut gefallen und …«
»Das ist wirklich ein guter Song.«
»Ja. Also habe ich angefangen, mehr von ihnen zu hören, und Michael Stipe, der Leadsänger, benutzt interessante Wortkombinationen.«
»Bemerkenswert. Und dieser andere Sänger?«
»Matthew Sweet?«
»Ja.«
»Ich glaube, ich weiß es gar nicht so genau. Er singt viele düstere Lieder, und so fühle ich mich manchmal auch. Er ist auch richtig gut mit Melodien, und die gefallen mir. Denken Sie, es besteht die Chance, dass er bei
Guitar Hero
dabei ist?«
»Na ja, es ist Kyles Spiel. Der kann Ihnen alles darüber erzählen – wie viele Punkte er hat, die Texte zu den Liedern. Bis dieser Blaue Blitz auftauchte, war
Guitar Hero
so ungefähr das Einzige, was er gemacht hat, außer schlafen, essen und zur Schule gehen.«
Ich lächle verhalten.
»Edward, darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja.«
»Was machen Sie? Haben Sie einen Job?«
»Nein, ich arbeite nicht. Ich mache Sachen im und am Haus. Ich streiche die Garage. Ich baue Dinge. Ich notiere das Wetter. Ich sehe
Polizeibericht
. Solche Sachen.«
»Wie bezahlen Sie das alles?«
»Das macht mein Vater.«
»Edward, ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Damals im Krankenhaus hat Ihr Vater mir von Ihrer Krankheit erzählt. Macht es Ihnen etwas aus, dass ich es weiß?«
»Nein, ich habe gehört, wie er es Ihnen gesagt hat.«
»Ist das der Grund, warum Sie nicht arbeiten?«
»Jobs sind schwer für mich. Ich kann gut arbeiten, aber mit Vorgesetzten und Kollegen ist es manchmal schwierig. Meine Therapeutin, Dr. Buckley, und ich arbeiten daran. Vielleicht kann ich eines Tages wieder zur Arbeit gehen.«
»Ich gehe auch zu einer Therapeutin. Das Leben ist hart. Manchmal hilft es, darüber zu reden, finden Sie nicht?«
»Ja.«
Fast eine Stunde lang sitzt Donna Middleton auf meinem Zweisitzer und erzählt mir von ihrer Therapeutin, davon, wie sie nach Kyles Geburt die Krankenschwesternschule absolvierte, wie sie in Laurel noch im Haus ihrer Eltern gewohnt und wie ihre Mom ihr geholfen hat, Kyle großzuziehen. Kyles Vater war Donnas Highschool-Freund. Nach dem Schulabschluss hatten sie sich getrennt, begegneten sich dann aber einige Jahre später zufällig wieder. Donna erzählt, wie eine einzige Nacht alles für sie verändert hat. Nachdem sie schwanger geworden war, wollte ihr alter Freund nichts mehr von ihr wissen. Da wurde ihr klar, dass sie sich für ihren Jungen ganz besonders anstrengen müsste.
»Er sieht seinem Vater sehr ähnlich – das ist manchmal ganz schön schwer«, sagt Donna Middleton. »Aber er ist ein so lieber Junge, und darin ist er seinem Vater überhaupt nicht ähnlich. Er ist das größte Geschenk meines Lebens.«
In dieser Stunde erzähle ich Donna Middleton auch von meiner Therapie, von meinen Problemen mit meinem Vater, davon, wie ich zu diesem Haus gekommen bin. Ich erzähle ihr nichts von der Onlinepartnervermittlung, und ich kann nicht erklären, warum, außer, dass es mir
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