600 Stunden aus Edwards Leben
nicht richtig erscheint. Ich erzähle ihr aber von den Beschwerdebriefen. Das macht sie neugierig.
»Gibt es auch Beschwerdebriefe an mich?«, will sie wissen.
»Zwei.«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Kann ich sie lesen?«
»Nein. Sie werden nicht gelesen, und sie werden nicht abgeschickt. Sie sind eine therapeutische Maßnahme.«
»Interessant. Und so einen Brief schreiben Sie jeden Tag?«
»Ja.«
»Gehen Ihnen nicht irgendwann die Themen aus, über die Sie sich beschweren wollen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
Donna Middleton verabschiedet sich. Ich öffne die Tür, sie nimmt ihren Schirm, klappt ihn auf und hält ihn gegen Wind und Regen ganz fest. Ich beobachte, wie sie an der Clark Avenue in beide Richtungen schaut, dann saust sie diagonal über die Straße und zurück in ihr Haus.
Die heutige Folge von
Polizeibericht
, »Der Dynamitdieb«, ist die zweite Folge der ersten Staffel in Farbe. Sie wurde das erste Mal am 19. Januar 1967 ausgestrahlt und ist eine meiner Lieblingsfolgen.
Sergeant Joe Friday und Officer Bill Gannon untersuchen den Diebstahl von 200 Kilogramm Dynamit von einer Baustelle. Weil sie gute Polizisten sind, finden sie schließlich eine Spur, die zu demRechtsextremisten Donald Chapman führt, der sich den Wagen eines Freundes geliehen und den Sprengstoff gestohlen hat. Ein Zeuge hat das Nummernschild gesehen, das zu dem Freund führt, der Sergeant Joe Friday und Officer Bill Gannon dann zu Donald Chapman führt. Als Polizist muss man beharrlich sein (ich liebe das Wort »beharrlich«).
Diese Folge ist auch in anderer Hinsicht interessant. Es kommen jede Menge Schauspieler darin vor, die feste Mitglieder des
Polizeibericht
-Ensembles wurden und auch in anderen Projekten von Jack Webb mitspielten. Kent McCord ist dabei, der in
Adam-12
den Officer Jim Reed spielte. Und Bobby Troup, der in
Notruf California
die Rolle des Dr. Joe Early hatte und der im wahren Leben zudem Jazzpianist und mit Jack Webbs Exfrau Julie London verheiratet war. Don Dubbins spielt den Rechtsextremisten Donald Chapman.
Jack Webb erkannte wohl, dass es gut ist, Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann. Auch ich lerne das allmählich zu schätzen.
Vor dem Zubettgehen lege ich einen neuen grünen Aktenordner an.
Unbekannter Autofahrer, der mich an der 24th Street West angefahren hat,
Sie haben heute viele Fehler gemacht. Erstens haben Sie eine Ampel missachtet und meinen 1997er Toyota Camry geschnitten. Zweitens haben Sie Fahrerflucht begangen, ohne Versicherungsdaten auszutauschen, und das ist ein Verbrechen.
Warum wegfahren? Der Schaden ist nicht sehr groß – tatsächlich ist er so klein, dass ich vermute, mein Vater wird ihn gar nicht reparieren lassen, da er noch nicht einmal die Selbstbeteiligung übersteigt. Hätten Sie verantwortungsbewusst reagiert, würde Ihre Versicherung den Schaden übernehmen.Jetzt muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, einen beschädigten Wagen zu fahren. Das ist mir gegenüber nicht fair. Autofahren ist kein Recht. Es ist ein Privileg. Leider sind Sie vom Unfallort geflüchtet und werden weiterhin fahren dürfen. Ich hoffe, dass Sie nicht noch weitere Autofahrer auf die Art und Weise gefährden, wie Sie mich gefährdet haben.
Zum Schluss möchte ich nur noch hinzufügen, dass Sie meine Vorliebe für das Rechtsabbiegen weiter untermauert haben. Links abzubiegen ist statistisch gesehen gefährlicher, als rechts abzubiegen, vor allem auf Straßen mit Gegenverkehr wie der 24th Street West. Wäre ich rechts abgebogen, hätten sich unsere Wege nicht gekreuzt, obwohl das nichts an Ihrem Vergehen ändert, dass Sie die Ampel missachtet haben.
Zu Ihrer eigenen Sicherheit und der Sicherheit der vielen Autofahrer, die die Straße mit Ihnen teilen, passen Sie in Zukunft doch bitte besser auf.
Mit freundlichen Grüßen,
Edward Stanton
DONNERSTAG, 23. OKTOBER
Ich sitze am Steuer eines Wagens. Es ist nicht mein Wagen. Er ist viel größer – von innen sieht er aus wie ein Familien-Van. Ich blicke nach rechts, und Joy sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz. Ich greife nach oben und drehe den Rückspiegel so, dass ich nach hinten sehen kann. Kyle sitzt dort in der Mitte, links neben ihm seine Mutter und rechts Dr. Buckley. Noch weiter hinten, auf den extra Klappsitzen, sind meine Mutter und mein Vater. Nacheinander sehe ich jedem ins Gesicht, und alle sehen gelassen zurück.
Dann blicke ich nach draußen und stelle fest, dass wir auf einer Brücke stehen – sie
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