61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Thema! Welches? Welches?“ wurde gefragt.
„Ein Weihnachtsthema“, meinte Alma von Helfenstein.
„Ja, ja“, wurde rundum beigestimmt.
Und Fanny fügte hinzu:
„Das Gedicht muß mit dem Wort des Engels beginnen: Ich verkündige euch große Freude, und soll sowohl die Weihnachtsfreude als auch das Weihnachtsleid beschreiben.“
„Was das Weihnachtsleid betrifft“, warf Baron Franz ein, „so möchte ich einen Vorschlag machen.“
Und als man schwieg und die Blicke aller sich fragend auf ihn richteten, fuhr er fort:
„Denken wir uns also Weihnachtsabend. Überall herrscht Lust und Freude. Aber da oben in der Zelle sitzt einer, eines schweren, entehrenden Verbrechens angeklagt. Das böse Gewissen zehrt an ihm, Körper und Geist leiden; er ist krank und stirbt, stirbt grad am Abend des Christfests. Ist dieses Thema nicht ein außerordentlich interessantes?“
Es war klar, daß es in seiner Absicht lag, Robert Bertram zu beleidigen. Der Oberst, welcher als Wirt die Verpflichtung fühlte, sich seines jungen Gastes anzunehmen, fuhr auf:
„Herr Baron, ich denke, daß –“
„Bitte, bitte!“ erklang es da von der anderen Seite her. „Ich bin ganz gern bereit, auf dieses Thema einzugehen.“
Robert selbst hatte diese Worte gesprochen. Das, was beleidigend gemeint war, hatte ihn sofort mit Begeisterung erfüllt. Der Fürst sah ihm dies an.
„Ja“, sagte er, „wir alle sind gern einverstanden und bitten Sie, zu beginnen!“
Robert trat vom Tisch weg zur Seite, so daß aller Blicke ihn zu erreichen vermochten. Einige Momente lang hing sein Auge wie nach dem Anfang suchend am Boden, dann aber begann er in der Weise der italienischen Improvisatoren:
„Ich verkünde große Freude,
Die euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ!
Jubelnd klingt es durch die Sphären;
Sonnen künden's jedem Stern;
Weihrauch duftet auf Altären;
Glocken klingen nah und fern.
Tageshell ist's in den Räumen;
Alles atmet Lust und Glück,
Und an buntgeschmückten Bäumen
Hängt der freudetrunkne Blick.“
Er beschrieb nun in leichtfließenden, wohltönenden Versen den Weihnachtsjubel überall und lenkte dann ein:
„Fast ist's, als ob sich die helle
Nacht in Tag verwandeln will,
Nur da droben in der Zelle
Ist's so dunkel, ist's so still.
Unten zieht des Festes Freude
Jetzt in aller Herzen ein,
Droben ist mit seinem Leide,
Seinem Grame er allein.“
Jetzt folgten die Parallelen zwischen dem wonnepulsierenden Leben der Freien und dem nagenden Kummer des kranken Gefangenen in der Zelle, Parallelen und Bilder erschütternden Inhaltes. Der Todkranke fühlt sein Ende nahen; er vernimmt bereits von weitem das Brausen der Ewigkeit. Da wird es ihm angst und bange; er gedenkt an seine Sünden und an die Gerechtigkeit Gottes. Welche Hilfe gibt es da? Keine andere als:
„Betend faltet er die Hände,
Hebt das Auge himmelan:
Vater, gib ein selig Ende,
Daß ich ruhig sterben kann!
Blicke auf Dein Kind hernieder,
Das sich sehnt nach Deinem Licht.
Der Verlor'ne naht sich wieder
Geh mit ihm nicht in Gericht!“
Wie Robert so dastand und ihm die Worte aus dem Mund strömten, war er nicht nur ein Dichter von Gottes Gnaden, sondern ein Redner, welcher seine Bilder mit erschütternder Tragik zeichnete. Aller Augen hingen an ihm und alle Ohren lauschten, damit keins seiner Worte verlorengehen möge. Es war eine Deklamation, wie sie noch von keinem jemals gehört worden war. Und weiter, weiter! Der Sterbende hat um Gnade und Erbarmen gefleht. Er kann nicht weiter. Die Kräfte verlassen ihn. Aber er lauscht, ob sich nicht aus dem Dunkel der Zelle ein Zeichen der Erhörung lösen wolle. Und es wird ihm dieses Zeichen, denn:
„Da ertönt vom nahen Dome
Feierlich der Glocken Klang,
Und in majestät'schem Strome
Schwingt sich auf der Chorgesang:
Herr, nun lassest du in Frieden
Deinen Diener schlafen gehn,
Denn sein Auge hat hienieden
Deinen Heiland noch gesehn!“
Diese Worte des greisen, frommen Simeon klingen, im Chor gesungen, aus dem nahen Dom in die dunkle Zelle hinauf. Sie dringen in das Ohr und das Herz des Sterbenden und machen, daß die Angst vor dem Tod und die Furcht vor der Ewigkeit verschwinden und die Seele, mit Gott versöhnt, sich losringt aus den Banden des schwachen, sündhaften Leides. Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, nicht das Aufhören des Bestehenden, sondern er ist eine Neugeburt für eine andere, bessere und höhere Lebensform; er ist der Übertritt in ein Dasein, von welchem Christus
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