61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
steuerten alle bei, alle! So arm sie selbst waren, sie wollten zeigen, daß sie nicht ohne Religion, ohne Glauben und Liebe seien. Viele gaben den einzigen Kreuzer hin, den sie noch besaßen. Zu Hause gab es ja noch Kartoffeln und Salz.
Selbst der Pfarrer, welcher mit anwesend und für nachher zum Souper zu Seidelmanns geladen war, warf seine Gabe in die Büchse, obgleich er eher als die Arbeiter imstande war, den wirklichen Sachverhalt zu durchschauen.
Schließlich erklärte der Schuster, daß er kraft seiner Machtvollkommenheit seinen Bruder, Herrn Kaufmann Seidelmann, zum Kassierer ernenne. Ihm übergab er die Büchse, und dann entfernten sich die Honoratioren so stolz, wie sie gekommen waren, während die Armen zurückblieben, um sich noch eine Weile von dem, was sie gehört hatten, zu unterhalten.
Zu Hause angekommen, öffneten die Seidelmanns unter sich die Büchse, um das Geld zu zählen. Als sie damit fertig waren, sagte der Kaufmann:
„Sechzehn Gulden! Das ist viel! Ich hätte nicht gedacht, daß so viel Geld unter den Leuten steckt!“
„Sechzehn Gulden?“ fragte sein frommer Bruder. „Wo denkst du hin! Dreizehn sind es.“
„Wieso?“
„Nun, nicht wahr, du hast einen Gulden gegeben?“
„Ja.“
„Ich auch und Fritz auch. Das sind drei. Wir werden aber doch nicht so dumm sein, unser schönes Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Diese drei Gulden nehmen wir wieder!“
„Mensch! August! Du hast recht! Heraus also mit dem Geld! Was aber wird mit dem anderen?“
„Was soll da werden? Bruder, bist du wirklich so dumm?“
„Dumm? Wieso? Als Kassierer habe ich Buch zu führen und Rechnung abzulegen!“
„Davon entbinde ich dich! Zunächst haben wir unsere Auslagen zu berechnen. Hast du denn dein Klavier umsonst hergeborgt?“
„Nicht umsonst?“
„Das darf dir nicht einfallen! Wenn ein Verein sich zum Beispiel ein Instrument zu einem Konzert oder einer Aufführung borgt, muß er Leihgebühren zahlen.“
„Ich wäre doch der größte Tor, wenn ich auf deine Noblesse nicht eingehen wollte! Wieviel willst du geben?“
„Es kommt darauf an, wieviel du haben willst.“
„Sind zwei Gulden zuviel?“
„Nein. Nimm drei! Hier sind sie!“
„Da bleiben also zehn. Welcher Arme bekommt sie?“
„An eure Armen können wir noch lange nicht denken! Oder meinst du, daß ich nicht auch Auslagen gehabt habe? Acht Gulden kostet mich die Eisenbahn und der Schlitten. Die übrigen zwei Gulden reichen gar nicht, wenn ich berechne, was ich unterwegs verzehrt habe: Grog, Warmbier, Kaffee, Cognac, zwei Rumpsteaks mit Schmorkartoffeln und eine Tasse Kakao. Nein, diese zehn Gulden belege ich mit Beschlag und gleiche damit meine Forderung aus; sonach bleibst du als Kassierer noch immer in meiner Schuld.“
Er steckte die zehn Gulden ein und sagte dabei unter einem sehr frommen Aufschlag seiner Augen:
„So! Gott gibt!“
Und lachend fügte er hinzu:
„Aber nur denen, welche zu nehmen wissen! Ist euch der Bibelspruch bekannt: Bittet, so wird euch gegeben: suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan! Doch genug hiervon! Habt ihr heute schon an der Eiche nachgesehen?“
„Nein.“
„Das wird bald Zeit. Wie ist's, lieber Fritz? Willst du nicht vor dem Souper gehen?“
„Habe keine Lust! Es wird wohl noch Zeit sein, wenn die anderen fort sind.“
„Zeit wäre es wohl, aber bei den guten Weinen, die ihr bereitgestellt habt, möchte es dir dann nach dem Abendessen zu sehr in den Gliedern liegen.“
„Ganz das Gegenteil. Recht warm und behaglich werde ich jedenfalls sein. Es ist schauderhaft kalt da draußen!“
„Aber jetzt sitzen die Leute noch in der Schenke, und unsere Gäste werden sogleich kommen; da bist du am sichersten, daß niemand draußen ist, dich zu belauschen.“
Und als sein Neffe noch immer keine rechte Lust zeigte, fügte er hinzu:
„Weißt du, welchen Wert die nächste Sendung haben wird?“
„Wie sollte ich das wissen! Der Waldkönig teilt das ja nie jemandem mit.“
„Aber mir doch. Es stehen zwanzigtausend Gulden auf dem Spiel.“
„Zwanzigtau – oh, sapperment! Zehn Prozent davon sind unser! Für zweitausend Gulden kann man sich schon einmal hinaus in die Kälte wagen. Ich gehe.“
Er begab sich nach seiner Stube, wo er lange Stiefel, kurze Jacke und eine schwarze Maske anlegte. Nach einigen Minuten schlich er sich, ohne von jemandem gesehen zu werden, durch den Garten ins Freie.
Jetzt kamen die geladenen Gäste: der Pastor, der
Weitere Kostenlose Bücher