61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
zwischen Pest und Cholera. Zwei Morde oder drei … der elektrische Stuhl ist ihm auf jeden Fall sicher.«
»Vielleicht kommt er gar nicht. Vielleicht ignoriert er meinen Befehl.«
»Damit würde er sich selbst identifizieren. Ebenso gut könnte er sich eine Zielscheibe auf den Rücken malen. Das würde Ihnen viel Mühe sparen.«
»Soll ich’s also tun? Soll ich alle zusammenrufen?«
»Ich tät’s«, sagte Reacher. »Straftäter von der Straße zu holen gehört zum Auftrag der Polizei.«
Holland berief die Versammlung ein. Aber zuvor telefonierte er mit den vier Frauen und drei Männern, die Mrs. Salter bewachten. Seine unterschwellige Botschaft war unangenehm: Einer eurer Kollegen ist ein Mörder. Traut keinem außer euch selbst. Dann alarmierte er über Funk das gesamte Department und befahl den übrigen Beamten – wer immer und wo immer sie waren, was immer sie taten, ob sie im Dienst waren oder nicht –, sich in genau einer halben Stunde in der Polizeistation einzufinden. Was Reacher für einen kleinen taktischen Fehler hielt. Besser wäre es gewesen, sie sofort herkommen zu lassen. Das hätte vermutlich keinen großen Zeitgewinn gebracht, aber selbst eine nur kurze Frist gab dem korrupten Polizisten das Gefühl, noch Zeit und Gelegenheit zu haben, seinen Auftrag auszuführen – und das unter ideal chaotischen Bedingungen, während überall Cops durcheinanderliefen. Die kommende halbe Stunde würde kritisch werden.
Holland hängte das Mikrofon wieder ein und nahm erneut den Telefonhörer ab. Er sagte: »Kim Peterson ist noch nicht benachrichtig worden.«
Reacher merkte an: »Aber nicht per Telefon. Das wäre nicht angemessen.«
»Ich weiß. Ich rufe den Empfang an, weil ich möchte, dass Sie die Nachricht überbringen. Der Mann am Empfang kann Sie hinfahren. Er holt Sie in einer Stunde wieder ab. Eine Stunde müsste reichen.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ich habe keine Zeit, selbst hinzufahren. Ich habe hier zu tun.«
»Aber ich bin ein Niemand«, sagte Reacher. »Ein Fremder auf der Durchreise.«
»Sie kennen sie«, entgegnete Holland. »Sie haben eine Nacht in ihrem Haus verbracht.«
»Das ist Ihre Aufgabe, nicht meine.«
»Sie haben bestimmt Erfahrung damit.«
»Darum geht’s hier nicht.«
»Sie können das sicher sehr gut.«
»Nicht sonderlich.«
»Sie müssen’s machen«, sagte Holland. »Ich kann’s einfach nicht, okay? Zwingen Sie mich nicht dazu, okay?«
Plato verbrachte eine Stunde auf Sitz 1A links vorn in der Kabine, dann wurde er unruhig. Nachtflüge langweilten ihn. Tagsüber hatte man selbst aus elf Kilometern Höhe eine Aussicht. Überwiegend formlos und braun, das stimmte, aber mit genügend Straßen, Häusern und Siedlungen, um ihn daran zu erinnern, dass es dort unten neue Kunden gab, die nur darauf warteten, angeworben und beliefert zu werden. Nachts konnte er sie jedoch nicht sehen. Überall nur Dunkelheit und ferne Lichter.
Er stand auf und ging nach hinten – zwischen seinen Männern hindurch, an der letzten Sitzreihe der ersten Klasse vorbei und in den Frachtraum, der früher die Economyklasse gewesen war. Er begutachtete die Ausrüstungsgegenstände auf dem Kabinenboden. Seine Männer hatten sie mehrfach kontrolliert. Er kontrollierte sie nochmals, denn er war Plato, und sie waren es nicht.
Proviant, Wasser, alles nicht weiter interessant. Sieben Jacken, sieben Mützen, sieben Paar Handschuhe. Alles neu, alles beste Qualität. Die unförmig dicken Jacken waren mit Gänsedaunen gefüllt. North Face, eine beliebte Marke, alle schwarz. Sechs in Größe M, eine in einer Jungengröße. Die Maschinenpistolen waren MP 5K von Heckler & Koch. Kurz, gedrungen, futuristisch, tödlich. Seine Lieblingswaffe. Dazu gehörten kleine Rucksäcke, jeder mit Reservemagazinen und einer Stablampe.
Plato entdeckte sofort eine Nachlässigkeit. Die Rucksackgurte mussten ganz lang gemacht werden, damit sie über die unförmigen Daunenjacken passten. Eine logische Schlussfolgerung. Man brauchte nur vorauszudenken. Aber das hatte keiner getan.
Er war Plato, und sie waren es nicht.
Die Leitern stammten von dem US -Hersteller Werner. Aluminium, ganz ausgefahren sechseinhalb Meter lang, für hundertzwanzig Kilo zugelassen. Sie waren über und über mit gelben Warnhinweisen beklebt. Schwache Triebwerksvibrationen ließen sie leise klappern. Jede wog schätzungsweise zehn Kilo. Bei vier Leitern waren das vierzig Kilo. Sie würden zurückgelassen werden. Lieber vierzig Pergamin-Ziegel mehr an
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