61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Rekordergebnis gewonnen. Beurteilungen bescheinigten ihm weit überdurchschnittliche Fähigkeiten als Lehrer, ausgezeichnete Leistungen im Einsatz, fließend Englisch und Französisch, brauchbare Spanischkenntnisse, sehr gute Beherrschung aller tragbaren Waffen und überragende Fähigkeiten im Nahkampf. Susan wusste, was die letzte Bewertung bedeutete – als würde einem eine laufende Kettensäge nachgeworfen.
Ein harter, aber intelligenter Mann.
Auf dem Innendeckel der Akte klebte ein Foto von Reacher, dessen Farben im Lauf der Jahre etwas verblasst waren. Sein kurz geschnittenes Haar war leicht gewellt. Er hatte leuchtend blaue Augen mit etwas schweren Lidern. Sein Blick war offen und unerschrocken. An Oberlippe und linker Schläfe hatte er zwei sichtbare Narben. Sein Gesicht sah aus, als wäre es von einem talentierten Bildhauer, der nicht viel Zeit gehabt hatte, aus Stein gehauen worden. Lauter harte, ebene Flächen und Kanten. Er besaß breite Schultern, lange Arme und große Hände.
Seine Lippen waren zu einem ironischen Lächeln verzogen, das halb geduldig, halb irritiert wirkte. Als wüsste er, dass er sich fotografieren lassen musste, aber dem Fotografen soeben erklärt hätte, er habe noch drei Sekunden Zeit, bevor ihm die Kamera entrissen und zertrampelt werde.
Jack-ohne-Reacher.
Ein interessanter Mann, vermutete Susan, als Freund vielleicht lohnend, als Feind bestimmt gefährlich.
Sie nahm den Hörer ab und rief ihren Mann in der Air Force an. Fragte ihn, ob es etwas Neues gebe. Es gab nichts. Sie fragte, wann damit zu rechnen sei. Bald, sagte der Mann. Bald sei nicht genug, meinte sie.
Ihr Mann fragte: »Willst du jemandem imponieren?«
Sie sagte: »Nein«, und legte auf.
Die beiden letzten Seiten von Reachers Personalakte enthielten Querverweise zu Einträgen in anderen Akten. Insgesamt dreiundsiebzig Einträge. Alle waren als geheim eingestuft, was aber nichts Besonderes war, weil praktisch alle dienstlichen Berichte als geheim galten. Die ersten zweiundsiebzig Eintragungen über verschiedene Ereignisse aus seiner dreizehnjährigen Dienstzeit hatte man als so geheim eingestuft, dass sie nicht leicht zugänglich waren. Die Nummer dreiundsiebzig trug eine niedrigere Geheimhaltungsstufe, aber sie war uralt. Tatsächlich so alt, dass Jack-ohne-Reacher damals erst sechs gewesen sein musste. Ein kleiner Junge. Was merkwürdig war. Ein damaliger Bericht über familiäre Schwierigkeiten würde nicht bei der Army, sondern im Archiv des Marine Corps liegen. Wegen seines Vaters.
Wieso gab es bei der Army eine Akte über einen Sechsjährigen?
Sie forderte per E-Mail vom Human Ressources Command ein Passwort an, das ihr einmalig Zugang zu diesen Unterlagen gewähren würde.
Beim Verlassen des Gefängnisses lief der gleiche Vorgang rückwärts ab, nur wurde diesmal auch ihr Fahrzeug gründlich inspiziert. Als Peterson in der ersten Box hielt, kamen zwei Wachleute mit Stablampen heraus. Einer überprüfte den Kofferraum, während der andere den Rücksitz kontrollierte. Dann tauschten sie ihre Positionen und wiederholten diese Prozedur. Das mittlere Tor öffnete sich, und Peterson fuhr in die zweite Box. Ein dritter Wachmann ließ sich ihre Ausweise zeigen und winkte sie durch.
Peterson fragte: »Was halten Sie davon?«
Reacher fragte: »Wovon?«
»Von ihren Kontrollen.«
»Ausreichend.«
»Nicht mehr als das?«
»Mehr ist nicht nötig.«
»Ich finde sie ziemlich gut.«
»Früher oder später stellt die menschliche Natur ihnen ein Bein. Diese Routine ist erst ungefähr ein Jahr alt. Irgendwann sind einmal zwei Wachmänner gleichzeitig nicht so auf Zack. Das passiert unweigerlich.«
»Pessimist.«
»Realist.«
Peterson lächelte, und sein Wagen rollte durch den Schnee weiter in Richtung Stadt.
Zweitausendsiebenhundert Kilometer weiter südlich war eine kleine Kolonne aus drei schwarzen Range Rover in der Hitze zu Platos Hazienda unterwegs. Die Geländewagen des Modells Sport – eigentlich ein Land Rover LR 3 mit neuer Karosserie und einem Jaguarmotor mit Kompressor unter der Haube – waren keine drei Monate alt und hatten schwarz getönte Scheiben. Ausgezeichnete Fahrzeuge für unbefestigte Straßen, wie sie in Platos Gebiet des Bundesstaats Michoacán die Norm waren. In jedem Geländewagen saßen zwei Männer. Alle sechs waren Einheimische, Mitte dreißig und hatten fast zwanzig Jahre Berufserfahrung. Alle trugen dunkle Anzüge und waren schwer bewaffnet.
Und alle hatten schon früher für
Weitere Kostenlose Bücher