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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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halb geschlossen, das Kinn ein wenig emporgereckt. Jo-seph wandte den Blick ab, um sich das traurige Bild zu ersparen.
    »Jetzt … sagt er nichts.«
    »Was sagt er denn, wenn er mit dir spricht?«
    »Ich … weiß nicht mehr.«
    »Versuche, dich zu erinnern, Daniel, bitte. Es ist wichtig.«
    Der Gärtner war nun stark verängstigt. Doch er tat, worum Audrey ihn gebeten hatte. Man konnte beinahe spüren, wie sein kleines Gehirn arbeitete, als er sich bemühte, den Tiefen seiner Erinnerung irgendetwas zu entlocken. Die Psychiaterin ließ ihm Zeit. Sie wollte ihn nicht drängen. Während sie auf Daniels Antwort wartete, las sie die Notizen durch, die sie sich im Verlauf der Sitzung gemacht hatte. Joseph seinerseits hatte den beiden den Rücken zugewandt und sah aus dem einzigen Fenster des Zimmers, ohne in der undurchdringli-chen Dunkelheit des Gartens etwas erkennen zu können.
    Schließlich antwortete Daniel. Doch er sprach mit einer völlig fremden, bedrohlichen Stimme, ohne wie gewohnt zwischendurch zu stocken.
    »Wie lauten die drei Lügen, Audrey?«
    Joseph wirbelte herum. Die Worte kamen zweifellos aus dem Mund des Gärtners, auch wenn sie nicht von ihm zu stammen schienen. Daniel hatte mit ungewohnter und beunruhigender Sicherheit gesprochen.
    »Was meinst du damit, Daniel?«, fragte Audrey.
    »Was ist mit ihm los?«, wollte Joseph besorgt wissen.
    Audrey bedeutete ihm mit einer Handbewegung und ei-nem kurzen, strengen Blick, zu schweigen.
    »Aber es sind gar nicht drei Lügen, sondern vier, nicht wahr, Audrey?«
    Erneut sprach er mit dieser unangenehmen Stimme. In den eisigen Ton hatte sich nun eine falsche Liebenswürdigkeit gemischt. In ebenso falscher Komplizenhaftigkeit zwinkerte Daniel Audrey zu.
    »Schluss jetzt!«, sagte Joseph. »Wach auf, Daniel!«
    Das war eine absurde Aufforderung, denn Daniel schlief ja gar nicht. Er stand nicht einmal unter Hypnose oder Ähnli-chem wie diese Leute, die manchmal im Fernsehen auftraten. Aber die Aufforderung entsprang dem, was Joseph in diesem Augenblick empfand. Das war nicht Daniel, und er musste aufwachen, um von dort zurückzukehren, wo er jetzt war.
    Daniel kehrte genau an den Punkt zurück, an dem er gewesen war, ehe er in diese Trance verfallen war.
    »Ich … erinnere mich … nicht.«
    »Bist du das, Daniel?«
    Josephs Worte waren eigentlich keine Frage, sondern Ausdruck seiner Erleichterung.
    »Natürlich … bin ich … ich, Joseph.«
    »Natürlich, Champion.«
    »Sind Sie jetzt endlich still und überlassen das Reden mir?«, unterbrach ihn Audrey. »Sie haben heute Nachmittag schon genug geredet.«
    Sie war wütend. Sie hätte ihm nicht erlauben dürfen, bei der Sitzung dabei zu sein. Er hatte alles verdorben, dieser Trampel.
    »Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte doch nicht einfach zusehen, wie …«
    Audrey packte Joseph am Ärmel und zwang ihn, sie vor die Tür zu begleiten. Dort sagte sie zornig: »Wobei konnten Sie nicht einfach zusehen, Sie Idiot? Was glauben Sie mit Ihrem Spatzenhirn, was mit Daniel los war? Haben Sie gedacht, er würde den Kopf verdrehen, wie das kleine Mädchen in Der Exorzist?« Audrey hob den Arm und deutete auf Daniels Zimmer. »Dieser Mann da drin hat ein Trauma erlitten. Gott weiß, was dabei mit seinem beschränkten Hirn passiert ist. Er leidet unter schwerem posttraumatischem Stress durch den Brand, aus dem Sie ihn gerettet haben, und nach dem zu urteilen, was wir gera-de gesehen haben, hat er möglicherweise außerdem eine multiple Persönlichkeitsstörung oder ist schizophren. In diesem Raum ist nichts Außergewöhnliches vorgefallen, Mr Nolan. Ich sehe so was fast jeden vermaledeiten Tag.«
    »Das tut mir sehr leid für Sie.«
    Die Aufrichtigkeit dieser Beteuerung entwaffnete Audrey.
    »Mir tut es auch leid, das können Sie mir glauben.« Audrey seufzte und fuhr fort: »Tut mir leid, dass ich Sie angeschrien habe.«
    »Sie haben mich außerdem einen Idioten mit Spatzenhirn genannt.«
    »Das tut mir auch leid.«
    Joseph reichte Audrey die Hand. Sie hatte recht. Er hatte sich tatsächlich wie ein Idiot mit Spatzenhirn aufgeführt.
    »Schließen wir Frieden?«
    »Sicher.«
    »Dann lade ich Sie auf einen Kaffee ein.« Diesmal kam er Audrey zuvor. »Und Daniel lassen wir für heute in Ruhe, okay? Lassen Sie ihn sich ausruhen. Er hat es nötig.«
    »In Ordnung. Aber ich hoffe für Sie, dass der Kaffee gut ist.«
    Wie sich herausstellte, war der Kaffee miserabel. In den Wohnvierteln der sozial Schwachen bekommt man

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