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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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harte Arbeit eine gewisse Berühmtheit erworben hat; sie ist eine angesehene Groß-mutter, die ihre Enkel liebt und das Talent des Schriftstellers bewundert.« Erneut überkam sie das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht passte. Maxwell war kein Ungeheuer. Jedenfalls wirkte er nicht so. Und das verwirrte sie. Eigentlich dürfte sie das nicht verwirren, schließlich war sie Psychiaterin und wusste, dass die Menschen fast nie das sind, was sie zu sein scheinen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Was?«
    Es fiel Audrey schwer, ihre Aufmerksamkeit von Maxwell abzuwenden und auf den Angestellten des Supermarkts zu richten, der sie gerade angesprochen hatte.
    »Ich habe gefragt, ob ich Ihnen helfen kann.«
    »Nein, danke. Ich glaube eigentlich, ich werde heute gar kein Gemüse kaufen.«
    Der Angestellte nickte freundlich.
    »Wenn Sie irgendetwas brauchen, sagen Sie es mir.«
    »Das mache ich. Danke.«
    Während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie der Angestellte wieder an seinen Platz ging, ertönte hinter ihr eine Stimme.
    »Dieser Porree ist hervorragend. Sie bauen ihn hier an.«
    Es war Maxwell. Die alte Dame war gegangen, und nun sprach der Schriftsteller mit ihr. Audrey wünschte, sie wäre nicht aus dem Auto gestiegen. Sie wollte nicht, dass Maxwell ihr erzählte, wie hervorragend der Porree auf Fishers Island war. Sie wollte nichts weiter von ihm wissen. Sie wollte ihn nicht als menschliches Wesen sehen.
    »Ich hasse Porree«, sagte Audrey in eisigem Ton, ohne sich zu Maxwell umzudrehen.
    Sie hatte ihm nicht ins Gesicht sehen wollen, doch er ging um die Gemüseauslage herum und stellte sich vor sie.
    »Und wie wäre es mit einem Stück Kürbis? Damit können Sie ein köstliches Püree machen.«
    Ja. Das war zweifellos der Clown mit den gelben Luftballons. Er war fünf Jahre älter und ein wenig dicker geworden, hatte ein beachtliches Doppelkinn und diverse neue Falten im Gesicht. Aber er war es. Maxwell war der Clown, der neben Eugene auf dessen letztem Foto posierte.
    »Ich heiße Anthony Maxwell.«
    »Ich weiß … ähm … ich meine …«
    »Sie wissen also, wer ich bin. Ich hingegen weiß nicht, wer Sie sind. Das ist unfair.«
    Er klang nicht, als ob er ihr ernsthaft grollte, doch nun war Audrey gezwungen, sich vorzustellen.
    »Ich heiße Audrey Ba- … Baker.«
    Sie wollte ihm ihren richtigen Nachnamen nicht nennen, obwohl es ihr schwergefallen wäre, das zu begründen.
    »Ist mir ein Vergnügen, Audrey. Aber jetzt habe ich kein Gesprächsthema mehr, weil ich vermute, dass Sie außer mei-nem Namen auch meinen Beruf kennen.«
    »Sie schreiben Geschichten für Kinder.«
    »Ja. Unter dem Pseudonym Bobby Bop. Sagen Sie bloß, das wussten Sie nicht?«
    »Nein«, log Audrey.
    »Kinder sind meine Leidenschaft. Es gibt auf der Welt nichts Wunderbareres. Haben Sie Kinder, Audrey?«
    Noch nie war ihr die Antwort auf eine Frage so schwergefallen.
    »Nein, ich habe keine Kinder.«
    »Wie schade. Kinder bereichern unser Leben, das versichere ich Ihnen.«
    Während er dies sagte, wog er in der Hand eine glänzende, in der Mitte durchgeschnittene Wassermelone. Audrey fand die Vorstellung, der Mann, an dem sie sich rächen wollte, könnte Kinder haben, entsetzlich.
    »Und Sie? Haben Sie Kinder?«
    Der Schriftsteller legte die Wassermelone zurück und sah Audrey fest in die Augen.
    »Ich habe keine eigenen Kinder, aber ich liebe die Kinder der anderen.«
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte Audrey plötzlich.
    Unter dem Kragen ihrer Bluse wurde ihr glühend heiß. Wenn er noch eine Sekunde weiterredete, würde ihr das Herz zerspringen. Erstaunlich ungerührt beobachtete Maxwell, wie sie überstürzt das Geschäft verließ.
    »Was hat die denn gestochen?«, fragte der Angestellte, der die Unterhaltung mit angehört hatte.
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte Maxwell. »Ich nehme die beiden da«, fügte er hinzu und meinte die beiden Wasserme-lonenhälften.

24
    Boston
    Als Cloister zurück zum Vendange Building ging, war er nicht sicher, ob er das wirklich wollte, doch zugleich fühlte er sich unwiderstehlich dorthingezogen. Er war verstört, sein Kopf voller miteinander unvereinbarer Ideen. Als Ermittler durfte er sich nicht vom Kern des Rätsels entfernen, und als Mensch – als der Mensch, der er war, mit seinen Zweifeln und seinem Wissensdurst – musste er dies zu Ende bringen und seine Ängste überwinden. Doch er schritt nicht so zuversichtlich aus, wie er es sich gewünscht hätte. Dafür war sein Selbsterhaltungstrieb

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