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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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gewesen war, und der gelangweil-te Beamte hatte ihr die gesamte Lebensgeschichte des Schriftstellers erzählt. Er hatte ihr auch den Satz gezeigt, der am En-de jeder Geschichte von Maxwell stand: »Was du tun sollst und was nicht, lernst du rasch mit Bobby Bop.« Es war wie ein Lockruf für die Kinder. »Ja, es ist ein Lockruf. Ein Köder, mit dem er sie anlockt«, dachte Audrey halb unbewusst. Sie bekam eine Gänsehaut.
    Audrey hasste Maxwell. Sie hasste ihn. Sie würde ihn bezahlen lassen. Deshalb war sie nach Fishers Island gekommen. Sie selbst würde dafür sorgen, dass er bestraft wurde. Das hatte sie schon beschlossen, ehe sie Boston verlassen hatte. Sie wollte nicht, dass die Polizei sich da einmischte, denn das würde nur zu endlosen Ermittlungen führen, bei denen man vielleicht nicht genügend Belastungsmaterial fände. Das konnte Audrey nicht riskieren. Nur ihr stand es zu, für Gerechtigkeit zu sorgen. Aber noch war sie nicht sicher, wie sie das bewerkstelligen sollte. Besser gesagt, sie wusste noch nicht, ob sie den Mut aufbringen würde, dem Schriftsteller das anzutun, was er verdiente. Deshalb be-schränkte sie sich einstweilen darauf, ihn zu beobachten. Maxwell hatte sich von einem Raubtier in Audreys Beute verwandelt.
    Und da war er endlich. Als Audrey sah, dass der Schriftsteller sein Haus verließ, zog sie sich noch tiefer in ihr Versteck zurück. Seine Gesichtszüge konnte sie aus dieser Entfernung nicht erkennen, dennoch ging ein Adrenalinstoß durch ihren Körper. Möglicherweise war das ein Warnzeichen, vielleicht aber auch nur das Jagdfieber.
    Maxwell trug eine saloppe, braun-grün karierte Flanellja-cke. Sich räkelnd ging er zu einem Schuppen, der ans Haus angebaut war, und kam mit einem Korb voller Holz für den Kamin zurück. Das waren die alltäglichen Verrichtungen ei-nes ganz normalen Mannes. »Logisch«, sagte sich Audrey. »Was hast du erwartet?« Auf diese Frage wusste sie keine Antwort, denn was sie – völlig naiv – nicht erwartet hatte, war ein Mann, der nicht auf den ersten Blick abstoßend und hassenswert wirkte, dem nicht »Mörder«, »Entführer« oder – am verabscheuungswürdigsten – »Päderast« auf die Stirn ge-stempelt war.
    Vermutlich würde Maxwell jetzt frühstücken. Wenn sie nur auch etwas hätte, das sie sich in den Mund stecken könn-te. Seit dem Vormittag des Vortages hatte sie nichts mehr gegessen. Audrey schämte sich beinahe für ihren Hunger, doch ihre Eingeweide hatten keine Scheu, sich zu beschweren.
    Der Schriftsteller ließ sich Zeit mit dem Frühstück. Er kam erst eine Stunde später wieder aus dem Haus. Audrey vergewisserte sich, dass er mit seinem Auto fahren wollte, dann rannte sie zu ihrem eigenen Wagen zurück. Nur eine einzige Straße führte zu Maxwells Haus, daher wusste sie genau, welchen Weg der Schriftsteller nehmen würde. Sie folgte ihm Richtung Osten zur zentralen Ortschaft der Insel und versuchte dabei, immer einen gewissen Abstand einzuhalten, mehr aufgrund ihrer Kinoerfahrung, als weil das wirklich nö-tig gewesen wäre. Sie waren allein auf dieser Privatstraße, die zu bestimmten Zeiten im Jahr sogar von privaten Wachleuten kontrolliert wurde, im Augenblick allerdings nicht – Glück für Audrey. Sonst wäre es nicht so leicht für sie gewesen, so nahe ans Haus des Schriftstellers heranzukommen.
    Ohne Zwischenfälle erreichten sie den Ort. Audrey folgte Maxwell auch dort durch die Straßen, bis er das Auto abstellte. Sie parkte ein Stück weiter an einer Ecke. Der Schriftsteller betrat den einzigen Supermarkt am Platz, den Village Market. Audrey hielt es zunächst für besser zu warten, bis er wieder herauskam, doch dann kam ihr in den Sinn, dass es vielleicht noch einen zweiten Eingang gab, durch den der Schriftsteller unbemerkt hinauskönnte. Daher betrat sie das Geschäft ebenfalls. Maxwell unterhielt sich mit einer Kundin. Audrey stellte sich an eine Gemüseauslage und gab vor, etwas zu suchen, doch sie achtete nur auf den Schriftsteller. Sie ver-spürte den dringenden, beinahe manischen Wunsch, seine Stimme zu hören, zu belauschen, was er gerade sagte.
    »Danke, Mrs Holten Ich hoffe, ich sehe Sie bei der Sig-nierstunde.«
    »Natürlich komme ich, Mr Maxwell. Jeden Abend lese ich meinen Enkeln eine Ihrer Geschichten vor.«
    Audrey wurde übel. Es war, als spielten zwei gute Schauspieler eine Szene durch. Perfekt und idyllisch. Die Handlung könnte lauten: »Er ist ein Schriftsteller, der sei-nen Beruf liebt und sich durch

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