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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Zeit, danach beginne sein Schichtdienst.
    Der dritte Anruf stammte von Ela Bach, die sie dringend zu sich zitierte.
    Anna wusste Bescheid: die Suspendierung vom Dienst.
    Sie sah nach ihrem Vater, doch er hatte das Haus bereits verlassen – der BMW parkte nicht mehr in der Garage. Er wäre besser zu Hause im Bett geblieben, fand Anna.
    Konnte sie Bernd Winkler weiterhin ›Papa‹ nennen? Sie wünschte sich, ihre Mutter hätte sämtliches Tagebuchgekritzel im Vollrausch erfunden.
    Anna setzte sich ans Telefon und wählte die Büronummer im Landtag. Sie hatte Glück, er war da.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie.
    »Blendend.«
    »Ich muss mit dir reden.«
    »Schade, Prinzessin, ich bin auf dem Sprung. Ruf mich gegen Mittag noch einmal an. Oder ich versuche, heute Abend etwas früher zu Hause zu sein, okay?«
    »Bis später, mach’s gut!«
    Sie legte auf und fühlte sich verloren wie noch nie. In einer buchstäblichen Schnapslaune hatte ihre Mutter versucht, die Affäre mit dem Freund ihres Mannes wieder aufzunehmen. Als wollte sie Bernd Winkler durch Michael ersetzen. Sogar auf den Posten des Geldkuriers für ihren Bruder und seine Partei hatte sie Lohse bugsiert.
    Anna begriff, dass sie alles revidieren musste, was sie bislang über ihre Familie zu wissen glaubte.
    Sie duschte, dann streifte sie die alte Jeans über und den Pulli von gestern. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand kehrte Anna zum Telefon zurück.
    Sie rief Ela Bach im Präsidium an und bekam Nora, die Hüterin des Geschäftszimmers, ans Ohr.
    »Die Chefin wollte mich sprechen«, sagte Anna.
    »Sie ist gerade beim langen Kriminalrat«, antwortete Nora.
    »Was will sie von mir?«
    »Keine Ahnung, dicke Luft.«
    Anna legte auf. Als sie in die Küche ging, tanzten wieder Lichtflecken vor ihren Augen. Die Tasse klirrte auf dem Untersetzer in ihrer Hand, Kaffee schwappte über, mit der freien Hand musste Anna sich an der Wand abstützen. Sie schmierte sich ein Brot und versuchte, die Kapriolen ihrer Nerven zu ignorieren. Schließlich lief sie ins Bad, löste die restlichen Schlaftabletten aus der Folie und warf sie ins Klo.
    Sie wollte nicht enden wie ihre Mutter – eine kaputte Alte, die hilflos zwischen Entzug und Rückfall schwankte wie ein Wrack in den Wellen. Allmählich wurde Annas Kopf klarer und sie fühlte sich fahrtüchtig.
    Auf dem Weg zur Autobahn hielt sie am Lottoladen gegenüber des Ehrenmals und kaufte Morgenpost und Blitz .
    Das Boulevardblatt titelte:
    BLUTMOND – MACHT ER UNS ALLE SEXBESESSEN?
    Der Mond bewegt nicht nur Ebbe und Flut, er beeinflusst auch unseren Körper, der zu 80 Prozent aus Wasser besteht. Als Vollmond bringt er die Körpersäfte in Wallung, das wussten schon die alten Römer. Und wenn er während der Finsternis errötet, brennen in uns alle Sicherungen durch.
    Heute Nacht geht der Blutmond auf. Deutschland stellt den Wecker für die leidenschaftlichste Liebe des Jahres: 0:14 bis 3:54 Uhr.
    Der obligatorische Nackedei der Seite eins war heute eine angebliche Astronomin namens Heidelinde, die ganz im Bann des Blutmonds stand.
    Anna musste in den Lokalteil blättern, um zu erfahren, wie der Blitz -Chef Alex Vogel die Story von gestern weitergedreht hatte:
    MORD AN PROMINENTENMALER –
    POLIZEI ERMITTELT NEU
    VERURTEILTER CLEMENS O. FORDERT REVISION
    Modezeichner Clemens O., 36, lebt seit zwei Jahren in der Landesklinik Langenfeld. Wer ihn besucht, muss durch eine doppelte Schleuse aus Stahl. Vor seinem Fenster eine Mauer mit Stacheldraht. Leise klagt er: »Der wirkliche Mörder lebt in Freiheit. Wann kommt endlich die Wahrheit auf den Tisch?«
    Januar 2003: Der Künstler Daniel Lohse, 23, wird tot in seinem Atelier gefunden. Spuren bestialischer Misshandlung. Clemens O.: »Zur Tatzeit habe ich mit einem Freund vor dem Fernseher gesessen.«
    Doch im Prozess bestritt der Mitbewohner diese Version, erst heute bestätigt er das Alibi, will angeblich zur Falschaussage gezwungen worden sein. In Kripokreisen wird eingestanden, dass die Indizien bröckeln und der Fall wieder aufgerollt werden soll. Kunstmaler Daniel Lohse galt als Shootingstar der Szene, porträtierte die Prominenten dieser Stadt. Einen von ihnen soll er erpresst haben. Liegt hier der wahre Grund für den rätselhaften Mord?
    In der Morgenpost nur acht knappe Zeilen, die lediglich die einschlägigen Dementis der Polizeibehörde wiederkäuten.
    Die Journalisten schrieben, was sie glaubten, und sie glaubten, was sie wollten, schloss Anna daraus. Vermutlich bestand

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