617 Grad Celsius
noch schlecht zu sprechen und ahnt nicht, dass ich alles weiß. Sie wird auch Michael verlieren!
Ein schönes Gefühl: Siegerin auf ganzer Linie zu sein.
16. November 1991
Schwerer Kopf. In der Firma krankgemeldet. Michael behauptet, ich hätte gestern vor Bernds Haus randaliert. Soweit ich mich erinnern kann, wollte ich Anna sehen. Es muss an der Pubertät liegen, dass sie von mir nichts wissen will. Wie hat es mir das Herz zerrissen, als ich sie vor fünf Jahren zurücklassen musste, weil sie in der Hasselstraße besser aufgehoben war und Bernd sich ein Kindermädchen leisten konnte! Ihr zuliebe habe ich gegen mein Gefühl gehandelt. Und jetzt wirft sie mir vor, ich sei eine Rabenmutter!
21. November 1991
Michael kam während der Schicht nach Hause und hat mich beim Spiel mit Daniel erwischt. Ich hatte Daniel dazu angestiftet, Mama zu mir zu sagen, was Michael in den falschen Hals bekam. Er bezeichnete mich als Whiskeyschlampe. Ein Rausschmiss, wie er im Buche steht.
Aber irgendwann wird er auf Knien darum betteln, mich wiedersehen zu dürfen.
23. November 1991
Karin ist aus der Klinik zurück, berichtet Anna-Luna. Einer ihrer seltenen Besuche. Die CD von Nirvana, die ich ihr geschenkt habe, scheint ihr zu gefallen. Im Kino haben wir Die nackte Kanone 2 ½ gesehen. Die strohdummen Cops brachten Anna-Luna dazu, Bernd zu verteidigen, obwohl ich das Edgar-Schwab-Thema gar nicht anschneiden wollte. Sie ist völlig vernarrt in ihren Papa.
28. November 1991
Überrascht mich die Kündigung? So viel Theater, nur wegen dem bisschen Blaumachen. Bin gespannt auf das Zeugnis.
29. November 1991
Wenn ich Michael anrufe, legt er auf. Wenn Karin rangeht, lege ich auf.
1. Dezember 1991
Michael hat mich von seinen Kollegen abführen lassen. Danach rief Karin an. Ich habe Besserung gelobt. Weniger trinken. Bewerbungen schreiben. Nie wieder bei Bernd betteln. Neuanfang mit vierzig, warum nicht?
3. Dezember 1991
Der Staatsminister im Bundeskanzleramt ist wegen geheimer Panzerlieferungen nach Israel zurückgetreten. Die Panzer stammen aus DDR-Beständen und wurden über den BND verschachert. Bernd verspricht mir, dass ich keine Scherereien haben werde wegen der Firma, die er auf meinen Namen gegründet hat. Ich will ihm glauben, zumal auch für mich etwas abspringt. Bernds Bedingung ist, dass ich Anna-Luna nicht gegen ihn aufhetze.
5. Dezember 1991
Zwei Wochen ist es her, dass Michael mich rausgeworfen hat. Eine, dass ich den Job verloren habe. Mit vierzig giltst du im Musikbusiness als altes Eisen. Versöhnung mit Bernd – ob so etwas möglich ist? Wie gern wäre ich bei meiner Tochter!
14. Dezember 1991
Wollte mit Bernd über das Besuchsrecht reden und bekam eine Überraschung serviert, die mich umgehauen hat. Gleich nach unserer Trennung hat er einen Vaterschaftstest machen lassen. Bernd weiß seit fünf Jahren, dass er nicht Annas Vater ist – ohne es mir zu verraten! Habe ihm auf den Kopf zugesagt, warum ich mit Michael geschlafen habe, und dabei so getan, als hätte ich noch immer ein Verhältnis mit seinem besten Kumpel. Entweder glaubt Bernd mir kein Wort oder es ist ihm egal. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finden soll.
25. Dezember 1991
Frohe Weihnachten, Jo Winkler! Sitze in Köln und muss an Holzbüttgen denken. Kann ich jemals dieses Kaff aus meinem Leben streichen – fünfzehn Jahre, zwei Männer und eine Tochter …?
53.
In ihrem Kopf schien es zu brennen, als Anna die Augen aufschlug. Ein heller Kringel flimmerte in ihrem Blickfeld. Erst nach langem Starren erkannte sie die Zeiger ihrer Armbanduhr und stellte mit Schrecken fest, dass es bereits auf halb zehn zuging.
Die Alarmfunktion ihres Handys hatte versagt. Sie untersuchte das Gerät – der Akku war leer. Beim Aufstehen knickten ihr die Beine weg. Etwas zuckte in ihrem Arm. Auf der Bettkante sitzend wartete Anna, bis ihr die Glieder wieder gehorchten.
Sie hatte es erneut nicht geschafft, ohne Noctumed einzuschlafen, und sie hatte die Dosis noch etwas erhöht.
Mit zitternden Händen stöpselte sie das Mobiltelefon ans Ladegerät und schaltete es ein. Sofort klingelte die Mobilbox. Drei neue Nachrichten, die Anna abhörte.
Bruno Wegmann fragte, wo sie bleibe. Der Kollege aus Straubing sei eingetroffen und sie gingen schon mal die Akten zum Fall Daniel Lohse durch.
Danach hatte sich Kollege Ritter gemeldet, Hauptkommissar der Kriminalwache und Makler im Nebenberuf. Er wolle ihr endlich die neue Wohnung zeigen, bis sechzehn Uhr habe er
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