64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Haar und Bart wieder an. Die Polizisten wunderten sich, den allbekannten Fürsten von Befour aus dem Zimmer treten zu sehen anstatt des Mannes, dem sie den Gefangenen überantwortet hatten. Doch wagten sie es nicht, diese Verwunderung in Worte zu fassen. Sie bekamen erklärt, um was es sich handelte, und folgten dem Fürsten und dem Staatsanwalt nach dem Palais des ersteren.
Dort fanden sie eine genügende Polizeimacht vor. Es war gegen drei Uhr geworden, und die Mannschaften wurden verteilt. Als dann ein jeder auf seinem Posten stand, verlöschte man die Lichter und erwartete das Eindringen der Bande.
Drunten im Garten raschelte es hier und dort im blätterlosen Gesträuch. Mann für Mann kamen sie über den Zaun gestiegen, und als die Glocke die dritte Stunde verkündigte, waren sie alle, außer dem Agenten, beisammen.
„Bauer fehlt“, meldete der Goldarbeiter leise dem Hauptmann.
„Er wird abgehalten sein“, war die Antwort. „Wir wollen nun beginnen!“
Und sich dann mit etwas lauterer Stimme zu den übrigen wendend, befahl er:
„Also jeder und jede, der oder die sich erblicken läßt, bekommt das Messer zwischen die Rippen! Vorwärts!“
Sie schlichen sich an die Veranda und kletterten an derselben empor. Ein Pechpflaster wurde an das Fenster gelegt, ein leises Knittern, welches der Sturm unhörbar machte – die Glastafel war zerbrochen, und man öffnete den Fensterflügel.
Jetzt stiegen alle in das Zimmer, wo sie sich auf das weitere vorbereiteten. Es wurden kleine Diebeslaternen angebrannt, Nachschlüssel hervorgesucht und die Messer bereitgehalten.
„Jetzt nun los! Die vier hier folgen mir zum Fürsten. Die anderen steigen direkt die beiden Treppen empor!“
Nach diesem Befehl trat der Hauptmann hinaus in den Korridor und blickte sich um.
„Wo steckt der Fürst?“ fragte er den Goldarbeiter.
„Dort rechts, durch die vorletzte Tür. Das ist das Vorzimmer. Sie treten durch die Portiere ein!“
Er nickte finster und ließ sie alle an sich vorüber. Er blickte ihnen nach, bis sie unhörbaren Schritts oben in der nächsten Etage verschwunden waren. Dann winkte er den vier, ihm zu folgen.
Er öffnete leise die angegebene Tür. Das Zimmer, in welches sie traten, war finster. Die Laterne, welche der Hauptmann in der Hand trug, verbreitete einen trügerischen Schein. Die Männer bemerkten nicht, daß unter der Tischdecke, hinter dem Pianino und dem Ofenschirm Polizisten kauerten, welche sich nun im Rücken der Eingedrungenen aufrichteten, bereit, sie von hinten zu fassen.
„Also, ich nehme ihn auf mich!“ flüsterte der Hauptmann. „Ihr seid nur für Eventualitäten da.“
Er trat vor und schlug die Portiere zurück. Sie war drei-, vier- und fünffach, so daß das dahinter flutende Licht nicht durchzudringen vermocht hatte.
Der Hauptmann blieb stehen, wie festgebannt. Er hatte erwartet, in ein dunkles Schlafzimmer zu treten, und nun sah er vor sich einen glänzend erleuchteten Raum, in dessen Mitte ein Sarg auf hoher Estrade stand. Und in dem Sarge lag – der ermordete Baron Otto von Helfenstein, mit weit klaffender Halswunde, die starren, toten, aber weit geöffneten Augen fest auf den Eintretenden gerichtet.
Ein unartikulierter Schrei entrang sich der Brust des Hauptmanns. Er wankte. Da ertönte es neben ihm mit lauter Stimme:
„Mörder! Das ist dein Werk!“
Er fuhr herum.
„Brandt!“ brüllte er laut auf.
Er strich mit den Armen durch die Luft, drehte sich einmal um sich selbst und schlug dann zu Boden nieder, so daß das mordbereite Messer seiner Hand entfiel.
Die vier hinter ihm Stehenden wußten nicht, was sie sagen sollten. Eine Leiche und ein Fremder, den sie gar nicht suchten! Aber sie hatten gar keine Zeit, zu einem Entschluß zu kommen.
„Bitte, meine Herren, drehen Sie sich um!“ erklang es hinter ihnen.
Als sie diesem Ruf gehorchten, sahen sie sich sechs Polizisten gegenüber.
„Himmeldonnerwetter! Verrat!“ rief der Geistesgegenwärtigste von ihnen. „Stecht zu!“
Aber noch ehe sie daran dachten, die Messer zu ergreifen, sausten die Totschläger auf ihre Köpfe nieder. In kürzerer Zeit als einer Minute waren sie gefesselt.
Auch dem bewußtlosen Hauptmann band man Hände und Füße zusammen und schaffte ihn in ein anstoßendes Zimmer, wo ein Polizist als Wächter bei ihm blieb.
Jetzt nun stieg der Tote aus dem Sarg.
„Brav gemacht, Robert!“ sagte der Fürst. „Puder, Farbe und Perücke haben das mögliche geleistet.“
„Sehe ich dem
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