64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
und raubten Sie den Knaben?“
„Um ihn zu retten.“
„Vor wem oder was?“
„Vor Baron Franz, welcher ihn töten lassen wollte, weil er ihm im Weg war.“
„So hatte er Sie gedungen?“
„Ja.“
„Warum gingen Sie darauf ein?“
„Um den Knaben zu retten. Hätte ich nicht ja gesagt, so hätte sich ein anderer gefunden.“
„Sie konnten ihn auf gesetzlicherem Weg retten, indem Sie den Baron Franz zur Anzeige brachten.“
„Hätte man mir geglaubt, wenn ich gesagt hätte, daß er mich zum Mord seines Cousins habe dingen wollen?“
„Sind Sie von ihm bezahlt worden?“
„Ja.“
„Wie hoch?“
„Das weiß ich nicht genau. Ich habe oft von ihm erhalten.“
„Und die Baronin Ella, ist sie mitschuldig?“
Der Alte blickte nachdenklich vor sich nieder, dann hob er unter einem raschen Entschluß den Kopf und sagte:
„Ich möchte nicht gern ein Frauenzimmer unglücklich machen. Wenn ich einen Mann zusammentrete, so ist das etwas, was mich – na! Aber eine Frau! Hm!“
„Sie werden aber dennoch bei der Wahrheit bleiben müssen.“
Der Schmied wollte antworten, wurde aber unterbrochen. Der Wachtmeister trat ein und meldete, daß eine Dame den Herrn Staatsanwalt dringend sprechen wolle.
„Wer ist sie?“ fragte dieser.
„Die Baronin von Helfenstein.“
Der Beamte warf einen fragenden Blick zu dem Fürsten hinüber. Dieser schien überrascht zu sein, nickte ihm aber aufmunternd zu.
„Sie meinen, daß ich sie eintreten lasse?“ fragte der Beamte.
„Ja.“
„Sogleich?“
„Ja. Ich glaube nicht, daß Sie deshalb Wolf hier abtreten lassen müssen. Sie wird in derselben Angelegenheit kommen.“
Der Anwalt nickte und befahl, die Dame zu rufen.
Sie war heute noch schön, diese einstige Zofe Ella. Als sie sich näherte, so weiß und bleich, mit niedergeschlagenen Augen und zuckenden Lippen, fühlten die beiden Männer ein wirklich aufrichtiges Mitleid mit ihr.
„Sie wünschen mich zu sprechen, gnädige Frau?“ sagte der Staatsanwalt. „Mich allein?“
„Oh, die Anwesenden können bleiben“, antwortete sie gleichgültig und nur halblaut.
„Bitte, nehmen Sie Platz!“
„Nein, an dieser Stelle habe ich zu stehen.“
„Ich habe Ihren Wunsch zu berücksichtigen. Bitte, sprechen Sie!“
„Mein Mann befindet sich in Gefangenschaft?“
„Leider ja.“
„Und seine Mitschuldigen?“
„Die größte Zahl derselben.“
„Ich bin auch seine Mitschuldige. Ich bin sogar noch schuldiger als die anderen. Ich bitte also, auch mir eine Gefängniszelle anzuweisen.“
„Ich halte dies nicht für dringend geboten.“
„Warum nicht?“
„Seine Durchlaucht hat die Güte gehabt, für Sie Garantie zu leisten, gnädige Frau.“
„Wenn ich nun diese Garantie nicht anerkenne?“
„Das ändert nichts. Ich bin Vertreter des Gesetzes und erkenne sie an.“
„Nun, so sage ich Ihnen, daß ich entfliehen werde, wenn Sie mich nicht festnehmen.“
„Bedenken Sie wohl, was Sie tun!“
„Ich bleibe bei meinem Vorsatz. Ich entfliehe.“
„Dann muß ich mich allerdings Ihrer Person versichern.“
„Das wünsche ich.“
„Ich achte Ihre Beweggründe, doch erschweren Sie sich Ihre Lage wirklich gegen meinen Wunsch.“
Er klingelte. Als der Wachtmeister eintrat, befahl er ihm:
„Die Frau Baronin bleibt in Haft hier. Geben Sie ihr keine Zelle, sondern eins Ihrer abgelegenen Privatzimmer. Doch haften Sie mir dafür, daß sie nicht entflieht.“
„Soll ich sie gleich mitnehmen?“
„Ja.“
Da fragte die Baronin:
„Werden Sie mich heute noch verhören, Herr Staatsanwalt?“
„Gewiß.“
„Meinem Mann gegen über?“
„Nein. Das werden wir später tun. Erst habe ich die Einzelverhöre zu erledigen. Adieu jetzt, gnädige Frau!“
Sie entfernte sich mit dem Wachtmeister. Auch der alte Schmied wurde entlassen, er hatte einstweilen genug mitgeteilt. Der Fürst durchschaute ihn. Er, nämlich der Schmied, hatte, als er in der Nacht sich in der Zelle seines Sohnes mit befand, diesem zugeflüstert:
„Du bist unschuldig! Ich nehme alles auf mich. Sorge nur für die Mutter!“
Er hatte geglaubt, daß es nicht gehört worden sei; der Fürst aber hatte die Worte deutlich vernommen und hielt es nicht für seine direkte Aufgabe, das Vorhaben des reumütigen Alten zu durchkreuzen.
„Jetzt nehme ich den Baron vor“, sagte der Staatsanwalt. „Wollen Sie hospitieren, Durchlaucht?“
„Nein“, antwortete dieser. „Er würde meine Anwesenheit als Vorwand nehmen, Ihnen die
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