64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
und sagte:
„Solche Nebensachen werden oft zum Hauptgegenstand. Darf man Glück wünschen?“
„Nein, Durchlaucht. Tausend Wünsche können mir keinen Hauch des Glückes bringen, welches ich wirklich empfinde.“
„Recht so! Ich gönne es Ihnen von ganzem Herzen. Nun bitte, fahren Sie fort!“
„Als ich mich verabschiedete, war ich geistig so engagiert, daß ich nicht an Schlaf zu denken vermochte; ich strich also mit den Wächtern und Polizisten durch die Gassen und Straßen. Sie hatten erfahren, daß ich heute mit dabei gewesen war und räumten mir infolgedessen einmal gleiche Rechte ein. Vom Neumarkt geht ein kleines, enges Gäßchen nach der Tiefenstraße. Das Eckhaus gehört einem Herrn Wunderlich. Der Flur dieses Hauses war erleuchtet. Bei Veranlassung wie heute ist man doppelt argwöhnisch. Ich schlich zur Tür und sah durch das Schlüsselloch, daß Wunderlich im Flur auf und abging, als ob er jemanden erwarte. Das konnte eigentlich nicht auffallen; ich stellte mich aber doch an die andere Seite des Gäßchens und wartete.“
„Da kam der Hauptmann?“ fragte der Assessor in scherzhaftem Ton.
„Wenigstens sein Anzug.“
„Was Sie sagen! Der Regenmantel mit Kapuze?“
„Nein, sondern es kam ein Offizier, langsam, vorsichtig, als ob er ein böses Gewissen habe.“
„Offizier? Böses Gewissen? Wollen Sie den Rock des Königs blamieren?“
„Nein, denn der Rock kann nichts dafür.“
„Aber der Träger dieses Rocks? Bin neugierig, was wir da erfahren werden! Weiter!“
„Der Offizier klopfte an, und Wunderlich öffnete. Beim Schein des Lichts, welches auf der Treppe stand, erkannte ich den Leutnant von Scharfenberg.“
„Ah, den!“
Der Assessor war dem Leutnant nicht gewogen, und wäre es auch nur wegen der letzten Unterredung gewesen, welche er mit ihm gehabt hatte.
„Was ist dieser Wunderlich?“ fragte er.
„Er schreibt sich Rentier.“
„Man kennt das. Vielleicht heimlicher Geldverleiher. Der Leutnant soll sich zuweilen in Verlegenheit befinden. Darum vielleicht dieser späte, heimliche Besuch.“
„Ich dachte zunächst auch daran. Doch fiel mir auf, daß dieser Besuch nur in dem Hausflur abgetan wurde.“
„Seltsam zwar, aber doch nicht verdächtig.“
„Bitte, weiter zu hören! Ich sah wieder durch das Schlüsselloch. Ich konnte hindurchsehen, obgleich der Schlüssel steckte; stak nämlich mit dem Bart nach oben gedreht. Sie verhandelten eine kleine Weile miteinander, dann ging Wunderlich nach oben und kehrte mit Banknoten zurück, welche er dem Leutnant gab.“
„Ah, also doch!“
„Sie meinen Darlehen?“
„Ja.“
„Hm! Der Leutnant gab aber auch Banknoten dafür.“
„Das wäre allerdings sonderbar!“
„Tausch oder Wechsel, wer weiß das!“
„Hm! Man spricht in neuerer Zeit davon, daß außerordentlich viele neue Fünfzigguldennoten kursieren. Die Zahl dieser Noten soll geradezu auffallend sein. Es scheint ein Rätsel hier zu geben!“
„Das Rätsel kam noch, nämlich es stand ein Dritter bei ihnen, mit Regenmantel und Kapuze.“
„Ah! Sahen Sie das Gesicht?“
„Nein; aber ich beschloß, aufzupassen. Ich lief zur nächsten Ecke und instruierte den Wächter.“
„Bravo! Was nun?“
„Die drei verschwanden nach oben. Nach einer Viertelstunde wohl öffnete Wunderlich die Haustür, spähte vorsichtig umher und ließ den Offizier heraus.“
„Scharfenberg!“
„Ich dachte es.“
„Ah! War er es denn nicht?“
„Bitte, hören Sie! Ich war natürlich überzeugt, daß es Scharfenberg sei. Doch schien mir der Gang jetzt ein anderer zu sein; zudem hatte ich einmal Interesse gefaßt, und so bat ich den Wächter, dem Offizier zu folgen, um zu erfahren, wohin er gehe.“
„Natürlich nach seiner Wohnung!“
„O nein!“
„Wohin denn?“
„Er ist zur Stadt hinaus und hinter dem Petrikirchhof über die Wiesen nach dem Fluß gegangen. Dem Wächter ist es nicht möglich gewesen, ihm weiter zu folgen.“
„Das ist freilich sehr auffallend! Was hat Scharfenberg zu dieser Stunde dort zu suchen, nach einem so geheimnisvollen Aufenthalt bei Wunderlich? Hinter diesem Kirchhof liegt ja auch die Scheune, unter welche die Leda, seine Geliebte, ihr ermordetes Kind versteckte. Ich bin höchst gespannt. Fahren Sie fort. Vielleicht haben Sie eine höchst interessante, wertvolle Beobachtung gemacht.“
„Oh, sie ist noch viel, viel interessanter, als Sie meinen. Natürlich erwartete ich nun den Mann mit dem Regenmantel und gab dem Wächter einen
Weitere Kostenlose Bücher