65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
sie. Von ihm soll ich sie grüßen.“
„Das wirst du gern besorgen, denn sie ist ein sehr reizendes Mädchen. Sie wird sich zur wirklichen Schönheit entfalten. Schade, daß sie nicht reich und vom Adel ist. Ich würde sie dann sogar dieser Theodolinde vorziehen.“
„Du machst mich gespannt!“
„Und ich warne dich. Nimm dich in acht vor ihren Augen. Da liegt eine ganze Welt von Reinheit, Unschuld und Naivität darin. Sie ist wirklich gefährlich.“
„Wann könnte man sie sehen?“
„Es ist grad die Zeit, in welcher ich meine Promenade zu machen pflege. Wärst du nicht ermüdet, so könntest du mitgehen.“
„Ah, keine Spur von Müdigkeit.“
„Aber essen doch!“
„Wenn wir zurückkehren.“
Sie promenierten vom Schloß aus durch den Wald, über die Wiesen und dann in das Dorf. Bei einem der letzten Häuser bogen sie um die Ecke desselben und standen da auch sofort vor einem Mann, welcher neben der Tür auf einer Bank saß. Neben ihm sitzend erblickte der Offizier seine schöne Reisegefährtin.
Bei dem Anblick der beiden Männer erhob sie sich, leicht errötend, aber keineswegs verlegen.
„Ah, da sind Herr und Fräulein Holm!“ sagte der alte Hagenau. „Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Sohn vorzustellen, welcher heute hier angekommen ist!“
Der Offizier stand ganz unbeweglich vor Erstaunen.
„Was hast du?“ fragte sein Vater.
„Fräulein Holm ist das?“
„Ja.“
„Also nicht die Schu – Schu –“
„Schusterstochter!“ fiel Hilda ein, indem sie ihm die Hand zum Gruß entgegenstreckte.
„Aber Fräulein“, sagte er in vorwurfsvollem Ton, „da haben Sie mich getäuscht!“
„Ich? O nein! Ich habe mich nicht zu einer Schuhmacherstochter gemacht. Freilich habe ich auch keine dringende Veranlassung, Sie auf das Irrige Ihrer Meinung hinzuweisen, Herr Oberleutnant.“
„Also lernten Sie auch nicht kochen?“
„Nein, gewiß nicht“, lachte sie.
„Was aber taten Sie so regelmäßig im Hotel?“
„Ich besuchte eine befreundete Dame, welche dort logiert.“
„Aber da brauchten Sie doch nicht bis elf Uhr zu bleiben.“
„Das ist mir auch nie eingefallen.“
„Wie? Sie sind eher gegangen?“
„Stets nach genau zwei Stunden.“
„Himmelsapperment! Und ich stehe täglich von zehn bis zwölf – ah, na das gehört nicht hierher!“
Sein Vater hatte erstaunt zugehört. Er fragte jetzt:
„Du kennst also die Dame?“
„Ja, obgleich ich nicht gewußt habe, wie ihr Name lautet. Aber, Fräulein, noch eins zur Aufklärung! Herr von Randau war doch heute bei mir. Warum taten Sie so, als ob er Ihnen unbekannt sei?“
„Ich habe nicht so getan.“
„O doch! Warum sprachen Sie nicht mit ihm?“
„Erstens hatte ich keine Zeit dazu und zweitens sprach er ja nicht mit mir. Sie nahmen mich sofort und gänzlich in Beschlag. Sie sprachen von Schustertochter, vom Laden, von der Werkstatt. Ich wußte gar nicht, was sie meinten. Und als ich es erriet, mußte ich schleunigst flüchten, um nicht durch mein Lachen Ihr Mißfallen zu erregen.“
„So hat also Randau Komödie mit mir gespielt?“
„Jedenfalls hat er sich einen Scherz gemacht.“
„Warte, Bursche! Die Lust dazu will ich dir in Zukunft versalzen!“
Der ältere Hagenau bat um Aufklärung und erhielt sie, soweit dieselbe nötig erschien. Dann saßen die vier beisammen in ernsthafter Unterhaltung, abwechselnd mit scherzhafter Plauderei, bis die Sonne gesunken war. Dann schieden sie.
Zunächst schritten Vater und Sohn schweigend nebeneinander her; dann unterbrach der erstere die Stille:
„Nicht wahr, ein reizendes Wesen?“
„Ein Engel.“
„Beinahe gefährlich!“
„Mehr als beinahe! Ich möchte ihren Bruder kennen, an dem sie mit solcher Liebe hängt.“
„Er war hier, und ich sprach mit ihm. Er nimmt einen sofort gefangen, genauso wie sie.“
„Verfluchte Einrichtung.“
„Was?“
„Daß einem grad diejenigen gefallen, welche man nicht heiraten darf.“
„Leider! Wäre sie nur wenigstens reich. Über die bürgerliche Abkunft könnte man sich beruhigen. Man ist ja nicht mehr so penibel wie früher.“
„Nun bin ich neugierig auf diese Theodolinde.“
„Sie ist die aufgebrochene Rose gegen diese Hilda, welche noch völlig Knospe ist. Du darfst überzeugt sein, eine sehr schöne Frau zu bekommen.“
„Werde sie mir also morgen ansehen, sobald ihr Vater zurückgekehrt ist.“
Dieser, nämlich der Herr von Tannenstein, war allerdings nach Schloß Hirschenau gefahren. Er war ein
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