65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
möglich ist, dann ist es dem Untersuchungsrichter noch viel leichter möglich. Sie werden hier wenigstens so lange warten, bis er morgen bei Ihnen gewesen ist.“
Hauck blickte nachdenklich vor sich hin. Über sein Gesicht ging jener schelmische Zug, welcher ihm so sehr eigentümlich war. Dann antwortete er in ergebungsvollem Ton:
„So muß ich also liegen bleiben und mich darein ergeben!“
„Ja. Sie werden hier ja viel besser abgewartet und gepflegt als daheim. Und Familie, nach der Sie sich sehnen könnten, haben Sie nicht, wie ich gehört habe.“
„Familie? Das fehlte noch! Ein Mensch, welcher totgeschlagen werden soll, braucht keine Familie! Ich habe da jetzt etwas ganz anderes, was mir aber viel Sorgen macht, Herr Doktor.“
„Was denn?“
„Hunger.“
Der Arzt lachte abermals über die drollige Antwort und tröstete ihn mit der Versicherung:
„Dem soll gleich abgeholfen werden. Ich werde dem Hausverwalter den betreffenden Befehl erteilen.“
„Aber, bitte, machen Sie keinen Fehler – denn ich habe keinen Hunger nach Wasser- oder Semmelsuppe.“
„Nach was denn, Sie Schwerenöter?“
„Nach Frikassee von Huhn, Hamburger Rauchfleisch, polnischem Karpfen, Leipziger Allerlei und gespickter Rindsbrust mit Remouladensauce.“
„Nicht übel! Sie scheinen Geschmack zu besitzen.“
„Auf der Zunge und am Gaumen, ja.“
„Wie aber haben Sie ihm solche Ausbildung gegeben?“
„Durch das Studium der Speisezettel. Wenn ich nämlich kein Geld habe, so gehe ich in eine feine Restauration, kaufe mir für fünf Kreuzer Zuckerwasser, was bekanntlich das billigste ist, und setze mich damit möglichst nahe an die Küchentür. Dann nehme ich den Speisezettel in die Hand und warte, bis die Tür aufgeht. Kommt dann ein appetitlicher Geruch, so sehe ich schnell auf dem Zettel nach, von welcher Delikatesse er stammt. Auf diese Weise bereichere ich mich an gastronomischen Kenntnissen und Finessen, ohne daß ich davon bankrott werde.“
„Auch gut. Nun, heute werden Sie auf Delikatessen leider verzichten müssen.“
„O weh!“
„Bedenken Sie, daß Sie sich im Krankenhaus befinden, wo eine Hummermayonnaise zu den Seltenheiten gehört. Ich werde nachsehen, was es gibt, und Ihnen zugleich eine Flasche Arnikaspiritus verschreiben.“
„Etwa als Dessert, zum Austrinken?“
„Nein, nur zum Einreiben.“
„Ach, wegen meiner Gedächtnisbeule! Na, das ich mir eben geduldig gefallen lassen muß.“
Der Arzt entfernte sich. Als er fort war, brummte Hauck leise vor sich hin:
„Hier bleiben? Im Krankenhaus? Nein, fällt mit gar nicht ein! Ich habe eine tüchtige Kopfnuß bekommen, weiter nichts. Sonst fehlt mir gar nichts. Meinem Gedächtnis werde ich noch heute zu Hilfe kommen; ist's nicht auf die Weise, dann auf eine andere. Dort liegt mein ganzer Anzug. Ich werde mich französisch empfehlen, wenn man mich nicht freiwillig fortläßt.“
Nach einiger Zeit kam der Hausverwalter. Er meldete:
„Sie sollen Essen erhalten. Hier gibt es die Abendmahlzeit um sieben Uhr. Das ist vorüber, und es ist nichts übrig geblieben. Aber ich esse privatim. Wenn Sie davon etwas haben wollen, darf ich es Ihnen geben.“
„Nun, was gibt's denn?“
„Kartoffelsalat mit Schlackwurst.“
„Schön! Bringen Sie mir getrost eine tüchtige Portion; aber wenig Salat und sehr viel Schlackwurst!“
Der Mann ging lachend und brachte ihm nach einiger Zeit das genannte Essen. Er hatte den Wunsch des gutgelaunten Patienten erfüllt und ihm ein tüchtiges Ende Wurst beigelegt. Darum meinte Hauck:
„Sie sind gar kein übler Kerl! Machen Sie es mit allen Ihren Patienten so?“
„Kann mir nicht einfallen. Der Oberarzt kuriert zumeist durch Diät. Sie glauben gar nicht, wie schnell unsere Kranken gesund werden, wenn sie täglich nur zwei Wassersuppen bekommen.“
„Da werden Sie mich nicht lange behalten. Ich will lieber machen, daß ich Ihren Wassersuppen aus dem Weg gehe.“
„Na, na, nur nicht so schnell. Heute kommen Sie nicht fort!“
„Warum?“
„Der Arzt hat es verboten. Er sagte mir, daß Sie fortwollen. Ich habe strengen Befehl, Sie nicht fortzulassen.“
„Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu bleiben.“
Als der Hausverwalter fort war, fügte er unter frohem Lachen hinzu:
„Warte es nur ab! Halten lasse ich mich nicht. Es ist nur gut, daß ich mich nicht in einem Krankensaal, sondern hier in dem Beobachtungszimmer befinde. Wollen doch einmal sehen, wie hoch das Fenster liegt.“
Er stand auf
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