65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Hier meine Antwort auf den Grünschnabel!“
Er holte aus und gab ihm eine so mächtige Ohrfeige, daß dem Getroffenen Hören und Sehen verging.
„Sehr gut, so!“ lachte Doktor Holm. „Wenn er damit nicht zufrieden ist, stehe auch ich zur Verfügung.“
Der Freiherr wußte gar nicht, ob er lachen oder weinen solle. Dann bemächtigte sich seiner eine entsetzliche Wut, aber trotz derselben wagte er keine tätliche Erwiderung. Er schimpfte und tobte und drohte mit allem möglichen. Seine Tochter stimmte ein. Beide befahlen dem Postillion, die Fahrt fortzusetzen, dieser aber, im Innern sehr erfreut über die Lektion, welche der Freiherr erhalten hatte, antwortete:
„Das geht nicht so rasch. Erst muß die Platzgeschichte in Ordnung gebracht werden.“
„Aber ich gebiete Ihnen, weiterzufahren. Ich verantworte alles, alles, ich, der Freiherr von Tannenstein.“
„Es geht aber nicht.“
Da sagte Robert zu dem Postillion:
„Lassen Sie sich nicht etwa durch irgendeinen Titel einschüchtern. Dieser Mensch nennt sich zwar Freiherr, ist aber keiner. Ein Herr vom Adel kann niemals ein so gemeines Betragen haben.“
Da hielt es der Postillion nun freilich für seine Pflicht, die aufklärenden Antwort zu geben:
„Da sind Sie aber falsch berichtet; er ist freilich ein wirklicher Freiherr. Ich kenne ihn.“
„Ich kenne ihn auch.“
„Na, da möchte ich wissen, für wen Sie ihn halten!“
„Er ist ein Kaufmann aus dem kleinen Ort Kirchenbach und heißt Moosberg.“
Da zuckte der Freiherr zusammen; der Postillion aber meinte zweifelnd:
„Wissen Sie das genau?“
„Ja. Er hat sich selbst so in das Fremdenbuch eingetragen. Fragen Sie ihn, ob er es leugnet!“
„Fremdenbuch? Das verstehe ich nicht; das geht über meinen Horizont. Aber da gibt es hier freilich eine Ähnlichkeit, welche ihresgleichen sucht. Darf man denn vielleicht auch erfahren, wer und was Sie sind?“
„Ja. Mein Freund ist ein Baron, und ich bin ein Doktor der Philosophie; die Namen sind ja wohl hier gleichgültig. Nun aber ist des Schwatzens genug. Ich verlange meinen Platz; erhalte ich ihn nicht freiwillig, so nehme ich ihn mir. Auf hier und hinüber!“
Er faßte den Freiherrn mit unwiderstehlicher Stärke, zog ihn halb empor und schleuderte ihn auf den gegenüberliegenden Sitz. Theodolinde folgte ihrem Vater jetzt freiwillig. Der Kutscher stieg auf und setzte die Fahrt fort.
Es wurde kein Wort gesprochen; aber die Augen der beiden Tannensteins waren um so beredter. An der nächsten Station stiegen beide aus.
„Jetzt macht er Anzeige“, meinte Robert.
„Ich gräme mich nicht darüber. Wir sind gekommen, eine Fehde mit ihm auszufechten und haben uns ihm einstweilen vorgestellt. Nun weiß er, was er von uns zu erwarten hat.“
Anstatt des Stationschefs kam der Postillion. Er sagte:
„Ich soll die Sachen hineinbringen.“
„Uns nicht auch?“
„Nein. Sie haben drin gar nichts erzählt, sich aber ein Extrageschirr bestellt. Nun fahren wir allein.“
„Recht so!“
„Verfluchte Geschichte! Ich hielt ihn wirklich für den Freiherrn; da er aber diese horrible Maulschelle so gemütlich einsteckte, so kann er es nicht sein. Ein wirklicher Freiherr hätte den jungen Herrn dafür massakriert.“
Die Fahrt wurde fortgesetzt und verlief von jetzt an ohne alle Störung. In Reitzenhain angekommen, wurde Holm von seiner Schwester und seiner Braut von der Post abgeholt. Es versteht sich von selbst, daß auch Robert Bertram willkommen geheißen wurde.
Dieser letztere behielt den Zweck seines Hierseins im Auge. Er erwartete die Ankunft des Freiherrn. Als dieser anlangte, beobachtete er ihn unbemerkt. Er erfuhr, daß Tannenstein in die Apotheke gegangen war und sich dann mit seiner Tochter nach dem Schloß zu Graf Hagenau begeben hatte. Hier waren die beiden etwa eine Stunde lang geblieben und dann nach Grünbach weitergefahren.
Als Bertram dann in der Apotheke nachfragte, erfuhr er, daß der Freiherr sich einige Schlafpulver gekauft habe, da er seit kurzem an Schlaflosigkeit leide.
Er teilte dies Doktor Holm mit.
„Das Schlafpulver geht uns jedenfalls nichts an“, meinte dieser. „Das ist Zufälligkeit.“
„Wahrscheinlich. Aber in einer Lage wie der unsrigen gewinnt alles eine erhöhte Bedeutung.“
„Wann brechen wir auf nach Grünbach?“
„Ich möchte keine Zeit versäumen. Man muß rekognoszieren, um das Schloß und die Umgegend kennenzulernen. Das muß natürlich am Tag
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