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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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flüsterte er.
    Dann entfernte er die letzte Hülle.
    Frau Fels hielt die Augen noch eine kurze Weile geschlossen. Dann öffnete sie die Lider. Augenblicklich fuhr sie mit beiden Händen danach.
    „Gott!“ stieß sie hervor.
    Das war ein Wort, welches sie seit langer Zeit nicht gesprochen hatte. Sie ließ die Hände wieder sinken und richtete den Blick vorsichtig auf den Sohn.
    „Wer – was – ach, ach!“ stieß sie hervor, und dann hielt sie sich die Augen zu.
    Fels hatte mit den Tränen zu kämpfen. Der Arzt aber gab ihm einen strengen Wink, sich zu beherrschen. Jetzt hielt sie die Hände wie einen Schirm über die Augen und betrachtete den Sohn.
    „Wer – ach wer – wer ist – ist –?“
    Weiter sagte sie nichts. Sie legte die Hände wieder auf die Augen. Zander band ihr die eine Binde wieder vor. Sie ließ es ganz ruhig geschehen. Er gab Marie und Fels einen Wink, und beide wechselten ihre Plätze.
    „Sie kämpft mit ihrer Erinnerung. Der Geist will erwachen, ist aber noch zu schwach dazu“, flüsterte der Arzt. „Geben wir ihr also, um sie zu unterstützen, ein zweites bekanntes Bild.“
    Er trat wieder hinter die Kranke zurück und entfernte langsam die Binde. Sie öffnete wieder, wie vorhin die Augen, fuhr schnell mit den Händen nach denselben, ließ sie wieder sinken, betrachtete Marie, öffnete und schloß die Augen wiederholt und atmete dabei tief und ängstlich auf.
    Dann, mit einem Mal, öffnete sie die Augen groß und weit. Ihr Blick wurde bewußter und bewußter, und jetzt rief sie, die Hände verwundert zusammenschlagend:
    „Marie!“
    Das Mädchen antwortete nicht.
    „Marie!“
    Abermals keine Antwort.
    „Marie, so rede doch!“
    Der Arzt nickte zustimmend mit dem Kopf, und darum antwortete sie mit dem Namen:
    „Frau Fels!“
    „Gott sei Dank! Ich dachte, du wärst tot. Du warst still und stumm wie eine Leiche.“
    „Meine liebe, gute Frau Fels!“ stieß Marie hervor, die ihre Rührung kaum mehr beherrschen konnte. „Sie kennen mich also?“
    „Dich? Kind, ich werde doch dich kennen! Ich habe Durst, gib mir einmal dort vom –“
    Sie hielt inne. Sie hatte sich zu Hause geglaubt, und nun fiel ihr Blick auf eine unbekannte Umgebung. Darüber erschrak sie.
    „Mein Gott, wo bin ich denn?“ fragte sie.
    Jetzt zeigte sich in Zanders Gesicht eine große, fast angstvolle Spannung. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Jetzt konnte ihr erwachender Geist wieder in Nacht versinken.
    „Wo bin ich?“ fragte sie.
    „Hier“, meinte Marie, welche nicht gleich wußte, was sie antworten sollte.
    „Hier? Ja, wo ist denn das? Bei wem denn?“
    Zander, welcher hinter der Patientin stand, zeigte auf sich, und darum antwortete sie:
    „Beim Doktor Zander.“
    „Doktor Zander? Den kenne ich doch gar nicht! Warum bin ich bei dem?“
    „Weil Sie krank waren.“
    „Krank? Ich?“
    Sie sann nach. Sie legte die Hand an die Stirn, sie schüttelte den Kopf; sie konnte sich nicht besinnen. Zander bewegte die Lippen so, daß Marie ihm das Wort Fieber vom Munde lesen konnte. Darum sagte sie:
    „Ja, Sie hatten das Nervenfieber. Sie sind erst heute wieder gesund geworden.“
    „Das Nervenfieber? Hätte ich gehabt?“
    „Ja.“
    „War es gefährlich?“
    „Sehr. Sie haben phantasiert.“
    „Ach ja, jawohl! Jetzt begreife ich es! Das also war das Nervenfieber?“
    Sie nickte mit dem Kopf. Ihre Züge nahmen einen immer mehr geistigen Ausdruck an.
    „Jetzt kann ich mich besinnen“, sagte sie. „Ich habe wirklich phantasiert! Habe ich nicht gemeint, daß ich blind bin?“
    „Ja.“
    „Daß – daß dein Vater tot ist?“
    „Ja.“
    „Daß – o mein Gott, das war schrecklich! Daß Wilhelm gefangen sein soll?“
    „Ja, das haben Sie phantasiert.“
    „Das –? Phantasiert –? O nein, das war ja wirklich! Seidelmann kam und sagte es mir!“
    Sie stieß diese Worte voller Angst und fast kreischend aus. Die Gefahr war wieder nahe.
    „Ja, Seidelmann sagte es“, fuhr sie fort. „Mein Sohn hat gestohlen! Er ist arretiert!“
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Auf das eifrige und angstvolle Winken des Arztes antwortete Marie:
    „Glauben Sie das nicht, Frau Fels. Glauben Sie es nicht. Sie haben das ja nur im Fieber geträumt!“
    „Wirklich? Wirklich?“
    „Ja.“
    „Er ist nicht gefangen?“
    „Nein.“
    „Und hat nicht gestohlen?“
    „Nein.“
    „Wenn ich das glauben könnte! Wenn es wahr wäre! Aber es war so deutlich, es kann kein Fieber gewesen sein. Wo ist

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