66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
Wand. Wer dasselbe mit dem Passagier verglich, der mußte sich allerdings sagen, daß dieser letztere kein anderer als der berühmte Opernkomponist sei.
Nachdem er die Depesche gelesen hatte, trat er hinaus auf den Perron. Er schien jemand zu suchen, aber zweifelhaft zu sein, wen er wählen solle. Da kam die Gestalt des Wurzelsepp langsam und gemächlich um die Ecke des Stationsgebäudes geschlendert. Er hatte sich im Gasthaus des Spielmatthes gelangweilt und war nach dem Bahnhof spaziert, weil es für ihn ein großes Vergnügen war, Bahnzüge kommen und gehen zu sehen.
Als Wagner ihn erblickte, heiterte sich sein Gesicht auf. Er schritt auf ihn zu.
„Wurzelsepp, du hier! Das ist schön!“
„Du auch hier, Herr Kompernist! Das ist auch schön! Hier hast meine Patsch! Willkommen auch! Kommst aus dem München?“
„Ja.“
„Hast die Leni gesehen?“
„Gestern noch.“
„Und was macht das Dirndl?“
„Sie befindet sich wohl und übt fleißig.“
„So bist mit ihr zufrieden?“
„In hohem Grad –“
„Schau, das gefreut mich; das gefreut mich sehr! Aber sag, was treibst denn da hier im Ort?“
„Ich will für einige Tage die Einsamkeit genießen.“
„So wohnst hier?“
„Ja.“
„Im Gasthof?“
„Nein. Es war annonciert, und da habe ich brieflich eingemietet, nämlich ein Parterre bei einem Müller, welcher Kellermann heißt.“
„Kellermann? Das ist nicht in der Stadt, sondern draußen im Dorf bei der Talmühl.“
„Kennst du sie und den Müller?“
„Ei wohl, sehr genau.“
„Ist's weit hinaus?“
„Gar nicht. Eine Viertelstund den Fluß hinab. Der Müller aber wird dir nimmer gut gefallen. Er ist ein Grobsack und Zuwiderkopf.“
„Ich werde mit ihm nichts zu schaffen haben. Nun aber könntest du mir einen Gefallen tun.“
„Drei oder vier, auch fünf oder zehn anstatt nur einen. Ich hab nix zu tun und kann dir helfen.“
„Ich habe nämlich Gepäck hier. Niemand soll wissen, wo ich logiere. Jedenfalls bin ich bereits erkannt worden, und darum sollst du mir das Gepäck besorgen. Du nimmst einige Leute, die sich nicht aussagen lassen, und bringst es mit hinaus.“
„Na, das ist auch nicht sehr klug.“
„Wieso?“
„Weil die Leut dann aufpassen, wohin wir gehn. Ich werd es also anders machen.“
„Wie denn?“
„Der Skatmattheswirt hat ein Pferd und Wagen; das borg ich mir aus, lad alls hinauf und bring's dir hinaus. Da bin ich allein und kann es so einrichten, daß gar niemand merkt, wohin ich fahre.“
„So ist es recht. Und nun noch eins. Dir kann ich es anvertrauen, denn ich weiß, daß du verschwiegen bist. Der König kommt heute abend acht Uhr hier an. Er will einige Tage unerkannt bei mir wohnen, und er telegrafiert mir, daß er über den Berg kommen will. Weißt du, wo das ist?“
„Freilich. Ich komm auch allemal da herüber. Man steigt an der letzten Station aus und kommt nachher unten an der Talmühl an den Fluß. Da ist die Fähr, mit der man hinüberrudert. Und wannst jetzund nach der Mühl willst, so gehst halt gar nicht durch die Stadt, sondern immer am Fluß hin. Nachher siehst die Gebäuden der Mühl dort stehen und gehst gleich ins erste hinein. Rechts von der Haustür wohnt der Müller. Kannst ihn gar nicht fehlen und brauchst nicht zu fragen.“
Sie trennten sich. Richard Wagner folgte der Weisung des Wurzelsepp und erreichte die Mühle, ohne sich geirrt zu haben. Im Gärtchen saßen einige Badegäste, welche er aber gar nicht beachtete. Er ging in die bezeichnete Stube, natürlich nachdem er vorher angeklopft hatte.
„Hinein!“ hatte der Müller von innen gerufen.
Wagner grüßte. Das Äußere des Müllers wollte ihm gar nicht gefallen.
„Was willst?“ fragte dieser.
„Ich heißte Wagner und habe Ihr Parterre gemietet.“
„Sag du zu mir; ich sag's auch zu dir. Willst jetzt hineinziehen?“
„Ja.“
„Hast Geld mit?“
„Natürlich.“
„So zahl die Miet! Alle Wochen wird vorher bezahlt. Wannst dann die Möbeln und Sachen gut hältst, so haben wir nix miteinander zu schaffen. Wannst aber unerzogen hantierst, so werf ich dich hinaus.“
Wagner ignorierte diese Grobheit, zahlte ihm den Betrag hin und fragte:
„Wo ist die Wohnung?“
„Drüben in der Villa. Hier ist der Schlüssel zum Eingang. Die andern Schlüsserln stecken an den Türen.“
„Wohne ich allein?“
„Nein.“
„Wer wohnt noch dort?“
„Schau sie dir selber an! Und jetzund machst, daß du fortkommst! Ich hab keine Zeit zum
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