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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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des Flusses lag nicht eine Spur feuchten Nebels im nächtlichen feiernden Tal.
    Der König schritt langsam von der Tür fort und den Abhang hinunter. Die beiden andern folgten. Richard Wagner flüsterte dem Italiener zu:
    „Er liebt diese monddurchglänzten Nächte. Wir dürfen ihn nicht stören, aber folgen wollen wir ihm doch.“
    Sie schritten in respektvoller Entfernung hinter ihm her. Er ging langsam nach der Mühle und bog dann rechts nach dem Fluß ein, als ob es ihn nach dem Ort ziehe, an welchem heut sein Leben in einer so großen Gefahr geschwebt hatte.
    Beinahe an der Fähre angekommen, blieb er lauschend stehen, dann wandte er sich nach links zu dem Felsen hin. Als die beiden andern die Stelle erreichten, an welcher er stehengeblieben war, hielt auch der Konzertmeister seinen Schritt an, ergriff den Arm Wagners und sagte:
    „Halt! Ferma tevi! Hören Sie was?“
    Wagner lauschte.
    „Ja. Es ist wie Musik.“
    „Es ßein Mußiken, Mußiken von die Geist, von die Geßpensten!“
    „Sie scherzen!“
    „Wie? Ich maken Scherz? Burla, baia, celia? Nein, ich ßpreken ernst, ßehr ernst, ßehr, ßehr.“
    Da winkte der König. Beide eilten zu ihm. Er stand am Fuß des Felsens.
    „Haben sie schon gehört?“ fragte er.
    „Ja“, antwortete der Kapellmeister.
    „Was meinen Sie davon?“
    „Es ßein Mußiken von Geßpensten“, wiederholte der Konzertmeister. „Von Geist, larva, ombra.“
    „Daran glauben Sie doch selbst nicht!“
    „Nicht? Oh, klauben daran, ßehr, ßehr! Ich wissen kenau, daß wahr ßein!“
    „Von welchem Gespenst sprechen Sie?“
    „Von eine Zikeunerin, Gitana, Zingaritta. Sie ßein da oben bekraben und ßpiel in der Nakt Violin im Krab.“
    „Das ist ein Wahnglaube.“
    „Nein, es ßein Wahrheit. Majestät kommen mit heraufen! Hören oben besser das Mußiken als unten abbasso!“
    Er stieg an dem Felsen empor, und die beiden andern, Ludwig und Wagner, folgten.
    Rund um den Rand des Felsens standen Büsche. In der Mitte desselben aber war er frei, und da lag der Grabhügel, unter welchem, wie der König wohl wußte, jetzt keine Leiche war. Sie hörten die Töne jetzt viel deutlicher als vorher. Wagner kniete nieder und legte das Ohr an die Erde.
    „Wunderbar!“ sagte er dann. „Man kann die einzelnen Töne nicht unterscheiden; aber ich möchte schwören, daß wir jetzt das Stabat mater hören.“
    „Stabat mater?“ meinte der Italiener. „Von welken Instrumenten?“
    „Es klingt wie Violine; aber es ist auch eine Begleitung dabei.“
    „Ja, es ßein die Violin der Zigeunergeßpenst. Aller Menschken wissen es. Auch ich wissen es ßehr, ßehr, ßehr kenau.“
    Der König konnte diese Töne sehr wohl erklären. Er ahnte, daß der Fex in seiner ‚Kapelle‘ Violine spielte; aber er hatte ihm Verschwiegenheit versprochen, und darum sagte er nichts. Der Italiener behauptete, daß die Töne von dem Geist der Zigeunerin kämen. Wagner suchte nach einer natürlichen Erklärung, konnte aber keine finden und wurde schließlich in seinen Vermutungen durch einen Ausruf des Konzertmeisters unterbrochen.
    „Da, da! O Himmel, o cielo! Da kommen nok ein Geßpensten! Da, da!“
    Er deutete zwischen den Büschen, welche am Rande standen, hindurch. Als Wagner und der König ihre Blicke dieser Richtung folgen ließen, gewahrten sie eine hohe, weibliche, ganz in Weiß gekleidete Gestalt, welche von der Villa her langsam näher kam und den Felsen zum Ziel zu haben schien. Ihr Gang war so eigentümlich, daß Wagner sofort sagte:
    „Eine Nachtwandlerin!“
    „Eine Somnambule? Ach! Oh! Also keine Geßpenst? Eine Naktwandlerin! Das ßein interessant, ßehr interessant, ßehr, ßehr!“
    Er trat an den Felsenrand heran, um die Gestalt genau zu sehen.
    „Ja“, sagte Wagner. „Ich habe noch niemals eine Mondsüchtige gesehen; aber ich möchte wetten, daß wir hier eine vor uns haben.“
    „Es ist eine“, stimmte der König bei. „Ich kenne sie bereits.“
    „Wie? Ist das möglich?“
    „Ja. Jetzt sehe ich auch ihr Gesicht ganz deutlich. Sie ist es. Sie ist mir bereits einmal im Schlafwandeln begegnet.“
    „Hier, Majestät?“
    „Nein, anderswo. Sie hat die Eigenheit, in Reimen zu sprechen und denen, denen sie begegnet, als Hellseherin die Zukunft zu verkünden. Ach wirklich, sie kommt herbei. Sie bleibt stehen und lauscht auf die Töne. Vielleicht kommt sie gar herauf. In diesem Fall ziehen wir uns so weit wie möglich zurück.“
    Die Mondsüchtige schien die Töne gehört zu haben; sie

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