66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
wünschen“, fiel da Wagner schnell ein.
„Warum?“
„Das, was sie zu Eurer Hoheit sagte, wäre imstande, sehr zu beunruhigen.“
„O nein. Sie warnte mich vor dem Wasser. Dieses Element ist einem jeden gefährlich, der ihm ein allzu großes Vertrauen schenkt. Der Inhalt dieser Prophezeiung ist also ein ganz gewöhnlicher. Aber was sie dem Fex sagte, das – ah, wo ist er?“
Der Fex war verschwunden. Er hatte es nicht für geraten gehalten, länger hierzubleiben. Was die Worte der Nachtwandlerin in seiner Seele für eine Wirkung hervorgebracht hatten, das konnte er nicht beschreiben. Es war ein ihm ganz und gar fremdes Gefühl. Er wollte der Mondsüchtigen folgen und sie anreden, aber als er den Fuß des Felsens erreichte, raschelte es neben ihm in den Büschen und der Wurzelsepp trat hervor.
„Du?“ fragte der Fex, nicht auf das angenehmste überrascht. „Warum bleibst nicht unten? Wolltest doch nicht mitgehen!“
„Ich bekam auf einmal eine Angst und Sorgen um dich und bin heraufkrochen, um zu sehn, wo du bist.“
„Ich muß dahin, ihr nach!“
„Wer ist's?“
„Die Nachtwandlerin.“
Er eilte fort, der Wurzelsepp aber ihm nach. Bereits hatte der Fex die Somnambule fast erreicht, da ereilte ihn der Sepp, hielt ihn fest und raunte ihm zu:
„Halt! Wirst stehenbleiben! Weißt nicht, daß man eine Nachtsüchtige nicht anreden darf!“
Die Hellseherin konnte diese Worte unmöglich gehört haben; aber wie von einem geheimen Fluidum erfaßt, drehte sie sich um, deutete auf die Mühle und sagte:
„Geh hin! In diesem Augenblick
Hält in den Händen er dein Glück.
Versäume ja nicht diese Stunde;
Das Schicksal ist mit dir im Bunde!“
Dann drehte sie sich um und ging fort.
„Hast gehört?“ fragte der Wurzelsepp leise. „Das war ja ganz sonderbar! Wen kann sie meinen?“
„Den Müller meint sie. Das weiß ich ganz gewiß. Komm mit! Ich muß hin.“
„Was willst bei ihm? Er schläft schon ganz gewiß!“
„Der, jetzt bereits schlafen? Was denkst! Der kommt nicht so schnell zur Ruh. Wann alles still worden ist im Haus, nachher bekommt er erst den richtigen Besuch, der ihn nicht schlafen läßt.“
„Besuch, des Nachts? Wer könnt das wohl sein? Er hat doch nicht etwa ein hübsch Weibsbild, mit der er im Dunkeln schameriert?“
„Hör einmal, Sepp, wann du mal einen Witz willst machen, so laß halt einen bessern los. Es kommt zu ihm weder ein Weibs- noch ein Mannsbild. Den Besuch, den ich mein, den bekommt er in seiner Seel, in seinem Innern, in seinem Gewissen. Da hinein schleichen sich des Nachts allerhand Geistern und Gespenstern, allerlei Gedanken und Vorwürfen, die ihn drücken und dracken und zwicken und zwacken, die ihm keine Ruh lassen und ihm den Schlaf nehmen. Da ächzt und stöhnt er, da jammert er und klagt und seufzt. Und wann er ja ein wenig einduselt ist, so weckt ihn das Gewissen allsogleich wieder auf, und er balgt sich mit Gespenstern herum, die nur er sieht aber kein anderer nicht.“
„So hat er freilich ein bös Gewissen.“
„Freilich! Und das ist ja auch gar nicht zu verwundern. Wann einer ein Mörder ist, so hat er die Höllen schon hier auf der Erden. Aber komm! Wie hat der Spruch gelautet, den die Nachtwandlerin sagte?“
„Ich hab ihn mir ganz genau gemerkt. Er lautete:
Geh hin! In diesem Augenblick
Hält in den Händen er dein Glück.
Versäume ja nicht diese Stunde;
Das Schicksal ist mit dir im Bunde!“
„Siehst, ich soll nicht saumselig sein. Mach schnell, damit wir hinkommen!“
Während dieses kurzen Wortwechsels war die Mondsüchtige in der Villa verschwunden. Die beiden kümmerten sich nicht um den König und seine zwei Genossen. Sie gingen nach der Mühle, bis zu den Fenstern der Stube, in welcher der Müller bei Tag und Nacht seinen Aufenthalt hatte.
Diese Fenster waren mit hölzernen Läden verschlossen, die ein bedeutendes Alter hatten. Einer derselben hatte rechts einen ziemlich bedeutenden Riß und links ein offen gewordenes Astloch. Durch beide konnte man leicht in die Stube blicken. Der Wurzelsepp stellte sich an den Riß und der Fex an das Astloch, beide blickten hindurch in die von der Lampe erleuchteten Stube.
„Siehst was?“ fragte der Sepp leise.
„Ja“, flüsterte der Fex. „Ich kann die ganze Stuben überschauen. Der Müller sitzt gleich hier am Fenster am Tisch. Sein Kopf tief unten auf der Brust. Kannst ihn auch sehen?“
„Freilich wohl! Er hat jetzt nicht sein bös Gewissen, denn er schlaft.“
„Meinst?
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