66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
den Sinn kommen.“
„Aber wie ist's dabei zugegangen?“
„Ich bin hier unten am Wasser gesessen und die Südana oben auf dem Stein. Da auf einmal hat sie laut aufgeschreit: ‚Aschutoriu‘, und ich bin hinaufklettert. Als ich oben ankam, hat sie da am Boden gelegen, und der Müller hat auf ihr kniet und ein Gesicht gemacht, so schlimm, daß ich mich vor Angst hinter dem Stein versteckt hab und nimmer hervorkommen bin. Er hat ihr die Taschen ausgesucht und sie nachher liegen lassen. Als er fort war, bin ich zu ihr hingangen und hab glaubt, sie schlaft. So bin ich bei ihr gesessen wohl mehrere Tage, bis sie uns gefunden haben; dann wurd sie eingescharrt. Erst nachhero später, als ich hab besser nachdenken könnt, ist mir der Gedank kommen, daß er sie totgemacht hat. Das Übrige weißt halt bereits.“
„So würd ich noch heut die Anzeigen machen.“
„Nein, das fällt mir nicht ein. Ich hab auch meine Ursach, daß ich schweig. Es wird wohl die Zeiten auch kommen, wo ich reden kann.“
„So weißt halt noch mehr, was du mir nicht sagst?“
„Ja. Auch selbst du brauchst jetzt noch nicht alles zu wissen. Ich hab eine Rechnung mit dem Müller, und bevor ich die ihm verzählen kann, muß ich noch viel aufpassen und viel erfahren.“
„Drum duldest die Behandlung, die du bei ihm hast!“
„Ja, darum, und auch noch wegen was anderem. Aber jetzt wollen wir die Toten tot sein lassen und lieber eine Musiken machen.“
„Ja. Du hast mir doch versprochen, mir heut was ganz Extrafeins vorzugeigen, was ich noch gar nimmer gehört hab.“
„Das kann nicht jetzt gleich sofort losgehn. Da muß ich erst vorher den Spitzbub machen.“
„Was fällt dir ein! Wirst doch nicht etwa gar das Mausen anfangen!“
„Nein, das Mausen nicht; aber ähnlich ist's dennoch. Ich werd mir nämlich die Violin und die Noten des Konzertmeisters borgen.“
„Wird er sie dir geben?“
„Ich frag ihn ja gar nicht. Ich geh in seine Stuben und hol sie mir.“
„Hör, das ist dennoch gespitzbubt!“
„Nein, denn ich trag sie ihm wieder hin, bevor es Morgen geworden ist.“
„Und wann er dich dabei erwischt!“
„Das tut er nicht. Du wirst Wachen stehn.“
„Hör, damit laß mich aus! Da mach ich nicht mit.“
„So geh ich allein.“
„Ich bitt dich, laß es lieber sein. Wenn du ertappt wirst, so stecken sie dich ins Loch, und nachhero kannst Grillen fangen und Regenwürmer fressen.“
„Das laß meine Sachen sein. Jetzt, da nimm deine Zithern her. Wir wollen beginnen. Es ist eine sehr lange Zeiten her, daß wir nimmer zusammen gespielt haben. Heut wollen wir uns mal eine Güten tun und denken, der König ist unser Publikum.“
„Ja, aber helfen tut's dir nix. Der liebe Herrgottle hat dir ein Talent und ein Schenie für die Musiken geben. Du brauchst dich gar nimmer zu plagen, da fliegt's nur so hinein. Du könntst bereits die allererste Vigolinen geigen im Dorschester beim Hoftheatern, aber du bist wie angeleimt hier an dem Fluß und an dera Mühlen. Was hilft's da, wann du so gut spielen lernst wie zwei Virtusen zusammengenommen! Es wird doch nix aus dir als nur der Wasserfexen! Aber ich will mich heut nicht verräsonneriern. Nimm deine Kolatschigeigen her: Wir wollen einstimmen.“
Der alte Wurzelhändler hatte seine Zither und seinen Rucksack vorhin vom Rücken genommen und auf den Tisch gelegt. Jetzt griff er zu der ersteren, und nachdem die beiden Instrumente in gleiche Stimmung gebracht worden waren, begannen die wunderlichen Freunde zu musizieren. –
Indessen hatte Ludwig sich umgekleidet und einige Gläser heißen Glühweins getrunken. Wagner hatte ihn gebeten, das Lager zu suchen, um zu schwitzen und so einer Erkältung von vornherein zu begegnen. Ludwig aber, auf seine kräftige Konstitution vertrauend, war nicht dazu zu bringen gewesen.
Dann hatten die beiden ihr Abendmahl gehalten, und später hatte sich der Italiener eingestellt, um mit Richard Wagner zu musizieren.
Dabei war es spät geworden. Die Töne schwiegen, und die drei Herren traten noch heraus ins Freie, um den Anblick der Vollmondlandschaft zu genießen. Diese war herrlich. Der Fluß schimmerte in seinen Windungen wie der Schleier einer Fee aus dem Dunkel des Waldrandes heraus. Die Berge lagen da, emporstrebend wie versteinerte Strophen eines Abendgebetes. Einige leichte leichte Wolken schwebten am Himmel hin, und ihre Schatten huschten geisterhaft über Wasser und Wiese, über Wald und Feld. Es war nicht kalt, und trotz der Nähe
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