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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war stehengeblieben. Dann stieg sie den Felsen empor, sicher, als ob sie auf ebener Erde wandle. Und doch hatte sie die Augen geschlossen. Sie war, wie damals auf der Alp, in ein langes Nachtgewand gekleidet, dessen Weiß hell von dem dunklen Felsen und Buschwerk abstach. Sie trat zwischen den Sträuchern hindurch auf den freien Platz und schritt langsam dem Grab zu.
    Die drei Herren waren bis an den gegenseitigen Rand zurückgewichen und ließen die seltsame Erscheinung nicht aus den Augen.
    Aber bald kam hinter derselben noch eine andere Gestalt zum Vorschein, nämlich – der Fex.
    Dieser hatte es für an der Zeit gehalten, seinen Vorsatz auszuführen und sich nach der Wohnung des Konzertmeisters zu schleichen. Er war also durch den Gang gekrochen. Als er dann einige Schritte gegangen war und sich unwillkürlich umblickte, sah er die weiße Gestalt der Nachtwandlerin am Felsen emporklimmen.
    Was wollte diese Gestalt da oben? Er mußte es wissen. Weit entfernt, sich zu fürchten, folgte er ihr nach. Und als er oben leise zwischen den Büschen hindurchtrat, sah er, daß er sich mit ihr nicht allein an diesem Ort befand. Der Mond beschien die Höhe fast taghell, und so erkannte der Fex die drei Herren ebenso wie sie ihn. Er blieb erstaunt und erwartungsvoll stehen.
    Die Musik hatte nicht aufgehört. Der Wurzelsepp spielte auf der Zither, deren Töne nur wie leiser Hauch heraufklangen. Die Mondsüchtige lauschte eine lange Weile, bis die Musik aufhörte. Dann erhob sie den Kopf, als ob sie in die helle, volle Scheibe des Mondes blicke; aber die Augen waren dabei vollständig geschlossen.
    „Ich muß sie prüfen“, sagte Wagner. „Ich will sehen, ob sie wirklich somnambul ist.“
    Er trat näher und stellte sich grad vor sie hin. Sie beachtete ihn nicht. Er schien für sie gar nicht vorhanden zu sein, obwohl seine Augen kaum eine Elle von ihrem Gesicht entfernt waren.
    Auch der Konzertmeister kam heran. Er erhob die Hand und hielt sie ihr so nahe an das Gesicht, daß er dasselbe beinahe berührte. Auch das empfand sie nicht. Sie hielt die geschlossenen Augen noch immer gegen den Mond gerichtet.
    Jetzt kam der Fex langsam herbei. Sofort schien sie den Einfluß magischer Kraft zu empfinden. Sie wendete sich ihm entgegen und winkte. Als er nahe bei ihr angekommen war und da stehenblieb, strich sie ihm mit den Spitzen der Finger über das Gesicht und die Brust und sagte dann deutlich und mit erhobener Stimme:
    „Ob man dich noch so sehr verhöhne,
Ich seh dein Leuchten schon vorn fern:
Ein Meister in dem Reich der Töne,
Gehst bald du auf als heller Stern.“
    Dann ergriff sie den Fex bei der Hand, schritt mit ihm zum Grab, blickte erst, allerdings immer mit geschlossenen Augen, zum Mond empor und sagte dann, auf das Grab deutend:
    „Da unten wallt der Locken Flut
Um ein versteinert Angesicht,
Und unter ihrer Fülle ruht
Dein Schicksal und sein Strafgericht.“
    Die beiden Worte dein und sein betonte sie ganz besonders. Bei dem ersteren deutete sie auf den Fex, und bei letzteren erhob sie den Arm und zeigte nach der Mühle.
    Wagner und der Konzertmeister waren beide zurückgewichen. Sie konnten sich eines Schauderns nicht erwehren. Die Szene hatte etwas wirklich Unirdisches und wirkte also auch in dieser Weise. Dadurch wurde die Gestalt des Königs, welcher hinter diesen beiden gestanden hatte, frei. Sie schritt langsam zu ihm hin, blieb vor ihm stehen, strich ihm mit den Fingerspitzen auch über das Gesicht und die Brust und sagte dann im Ton einer Seherin:
    „Das Wasser hielt dich schon umfangen
Und wollte nicht zurück dich geben.
Komm niemals irr zu ihm gegangen;
Es trachtet dir nach deinem Leben!“
    Sie erhob dabei warnend ihre Hand und wendete sich dann ab, den Felsen ebenso sicher hinabsteigend, wie sie gekommen war.
    „Wer mag sie sein?“ fragte Wagner.
    „Ich kenne ßie“, antwortete der Italiener. „Sie ßein die Tokter von Baron Stauffen, welker mit wohnen in unßerer Villa.“
    „So wohnt sie in unserem Hause?“
    „Ja, ßehr, ßehr!“
    „So werden Sie die Güte haben, mich ihrem Vater vorzustellen. Ich muß diese Dame kennenlernen. Der Somnambulismus ist noch immer ein unerklärtes Rätsel, und das Erscheinen dieser Dame hat mich wunderbar ergriffen. Ich möchte wissen, was man von ihren Weissagungen zu halten hat.“
    „Sie scheinen wörtlich zu nehmen zu sein“, antwortete der König, über dessen Gesicht ein hoher, fast finsterer Ernst sich gebreitet hatte.
    „Das wollen wir ja nicht

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