66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
bei so außerordentlich heiterer Stimmung zu treffen.
Die Angelegenheit, in welcher sie kamen, bereitete ihnen ernste Befürchtungen. Die Meldung, daß die erwartete einstige Sennerin, unter welcher sie sich ein hübsches schlankes, junges Mädchen vorgestellt hatten; eine ungeheuer dicke, an Atemnot und Brustbeklemmung leidende, schlafsüchtige Person sei, war erwartungsgemäß von dem König mit großer Enttäuschung entgegenzunehmen. Darum fühlten sie sich einigermaßen beruhigt und ermutigt, als sie jetzt bemerkten, daß er sich in so ungeahnt vortrefflicher Laune befinde.
Beide traten unter tiefen Verbeugungen ein, wobei der kleine Konzertmeister noch immer den Kopf mit der einen Hand hielt. Der König und Wagner lachten noch immer. Ersterer trat den Audienzsuchenden einen Schritt entgegen und sagte in bedauerndem Ton:
„Das war eine höchst kräftige Karambolage, Herr Konzertmeister. Ich hoffe, daß sie noch von nachhaltiger Wirkung sein werden. Haben Sie Schmerzen?“
„Schmerzen, dolori, affini? Ein wenik tun es weh. Das Türe ßein mehr hart als mein Kopf, aber er ßein dok nok nicht kanz entßwei zerbrocken, und er hören schon jetzt auffen, ßu brummen, marmoreggiate, borbogliare e brontolare. Es ßein kut, ßehr kut!“
„Das freut mich, denn so hoffe ich, erfahren zu können, aus welchem Grund ich Sie bei mir sehe.“
„Gründen? Ursaken? Cause, ragione o origine? Signor Kapellenmeister mag saken es. Er können besser ßprecken Deutsch als ich.“
Und als der König nun eine halbe Wendung gegen den genannten machte, sagte dieser:
„Zunächst, Königliche Majestät, haben wir dringend um allerhöchste Verzeihung zu bitten, daß wir uns zu dieser Belästigung veranlaßt sehen müssen. Es handelt sich um die erwartete Sängerin.“
„Sie meinen Signora Mureni?“
„Ja. Die Angelegenheit erschien uns bedeutend genug, um zu zweien vor eurer Hoheit zu erscheinen, damit der eine die Worte des andern bestätigen könne.“
„Das setzt die Annahme voraus, daß ich einen Zweifel in diese Worte legen könne?“
„Gewiß, das mußten wir annehmen.“
„So habe ich jedenfalls eine ganz ungewöhnliche Mitteilung zu erwarten, Herr Kapellmeister.“
„So ungewöhnlich, daß ich offen gestehe, ganz fassungslos gewesen zu sein.“
„Wie? Die Mureni hätte Sie aus der Fassung gebracht?“
„Vollständig!“
„Ich soll doch nicht vielleicht hoffen, daß etwas geschehen ist, was sie am Auftreten hindert?“
„Ein solches Ereignis ist freilich nicht eingetreten; aber ich bezweifle überhaupt sehr, daß die Mureni wird singen können.“
„Warum?“
„Ihre Gestalt, ihre ganze Persönlichkeit, ihre gegenwärtige Konstitution, kurz, das alles läßt vermuten, daß sie nicht wird singen können.“
„Ich verstehe Sie nicht.“
Der Kapellmeister suchte in größter Verlegenheit nach passenden Worten. Die Mureni stand unter dem ganz besonderen Schutz des Königs; er hatte sie zur Sängerin bestimmt. Durfte man ihm jetzt sagen, daß sie für diesen Beruf untauglich sei? Und doch waren seine Augen so erwartungsvoll auf den Musiker gerichtet, daß dieser ganz verwirrt wurde und in dieser Pein geradezu herausplatzte:
„Sie hat keinen Atem.“
„Was? Die Mureni hat keinen Atem?“ fragte der Monarch im Ton des höchsten Unglaubens.
„Ja. Ihr Atem reicht kaum zum Sprechen zu. Beim Singen aber wird er ihr ganz sicher ausgehen.“
„Das möchte ich denn doch bezweifeln!“
„Ich berufe mich auf das Zeugnis des Herrn Konzertmeisters, den zu diesem Zweck mitzubringen, ich mir erlaubt habe.“
„Wirklich?“
Bei diesem Wort blickte der König den Italiener an, und so beeilte sich dieser zu der zustimmenden Erklärung:
„Majestät, meine Freund hab kesakt das Wahrheit. Die Mureni hat kein Atem. Ssie wird ihn lassen fahren beim Ssingen. Es wird ßein sehr schauderhaft, ßehr, ßehr!“
Jetzt fiel Wagner ein:
„Das muß ein Irrtum sein. Ich habe sie noch kurz vor meiner Abreise singen lassen. Sie war sehr gut bei Stimme. Es ist doch ganz unmöglich, daß unterdessen ein Asthma sie überfallen habe.“
„Asthma?“ rief der Italiener. „Ja, es ßein Asthma, kanz Asthma, kanz!“
„Unmöglich!“
„O dock ßein es Asthma!“
„Bei dieser Jugend?“
„Oh, ßie ßein über fünfßig Jahren!“
„Über fünfzig Jahre? Welch ein Irrtum.“
„Und sie haben einen Leib, einen Bauk, ßo dick, ßo, ßo dick!“
Er beschrieb während dieser Worte mit seinen beiden Händen einen
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