66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
weiten Bogen über seinen Unterleib nach abwärts, um anzudeuten, was für einen großen ‚Bauch‘ die Sängerin habe.
Wagner und der König blickten sich an. Es wurde ihnen schwer, ein Lachen zu verbeißen. Der erstere hustete einmal in sein Taschentuch, um zu verbergen, daß die mit einer solchen Gestikulation verbundene Äußerung des Konzertmeisters sein Zwerchfell reize, und sagte:
„Wie? So stark soll sie sein? So dick?“
„Sso dick, ßo, ßo, wie einen Muschel, conchiglia!“
„Und über fünfzig Jahre? Wo haben Sie sie denn gesehen, Herr Kapellmeister?“
„Auf dem Bahnhofe“, antwortete der Gefragte.
„So! Haben Sie mit ihr gesprochen?“
„Eine ganze Weile, bevor wir sie in der Equipage nach der Mühle schickten. Die Dame hatte, mit allem Respekt zu vermelden, einen solchen Umfang, daß sie das Innere der Kutsche ganz allein ausfüllte. Keine Menschenseele, selbst die magerste nicht, hätte neben ihr noch ein Plätzchen gefunden.“
Wieder blickte Wagner nach dem König und dieser nach ihm. Dann aber war es ihnen unmöglich, länger ernst zu bleiben. Sie brachen beide in ein herzliches Lachen aus, welches immer stärker wurde, je dümmer sich die Gesichter der beiden Musici zeigten. Diese blickten bald einander und bald die lachenden Herren an; ihre Gesichter wurden länger und immer länger, und endlich meinte der Italiener trotz der Anwesenheit des Königs:
„Ssie lacken, lacken uns außer! Wir hab kesakt den Wahrheiten. Die Mureni ßein dick wie ein Maulwürfen, talpa, wie ein Daksen, tasso, wie ein Ballon von die Luft, pallone aerostático! Ssie hab eine Leib wie einen Bierfaß und Beine wie einen ßweien Butterfaß, zangola. Ich hab kesehen alles, alles. Wenn ßie anfangen ßu ßingen, wird der Luft ßein fort, kanz fort, wie bei ein Blaßenbalken, wo ßein ein Riß darinner.“
Er begleitete diese Worte mit so lebendigen und possierlichen Gestikulationen, daß die beiden Lacher nur noch lauter lachten. Der König drehte sich um; es war ja für ihn eigentlich nicht ratsam, sich einer solchen ungewöhnlichen Heiterkeit hinzugeben, und nur mit großer Anstrengung gelang es ihm endlich, wieder ein ernstes Gesicht zu zeigen. Dann wendete er sich an den Konzertmeister:
„Ich bin vollständig überzeugt, daß hier eine große Verwechslung vorliegt. Die Mureni ist weder so alt noch von einem solchen Embonpoint, wie Ihr Herr Kollege sie beschreibt. Sie müssen eine ganz andere Person für die erwartete Sängerin gehalten haben.“
„Das ist unmöglich, Majestät. Als der Zug kam, haben wir laut den Namen Mureni gerufen, und sie hat sich sofort zu demselben bekannt.“
„Bitte, erzählen Sie doch einmal!“
Der Kapellmeister folgte dieser Aufforderung, und der Italiener streute in seinem gebrochenen Deutsch so drastische Bemerkungen ein, daß die beiden Zuhörer sich alle Mühe geben mußten, möglichst ernst zu bleiben, um nicht abermals in ihr Lachen zu verfallen. Als der Bericht beendet war, nickte Wagner mit dem Kopf und sagte nur den Namen:
„Madame Qualèche.“
„Ja, richtig!“ fiel der König ein. „Also diese korpulente Dame hat nur ein Mädchen bei sich gehabt?“
„Nur!“
„Es war keine weitere junge Dame bei ihr?“
„Nein.“
„So ist Signora Mureni entweder bereits früher angekommen, oder sie kommt mit einem späteren Zuge. Meine Herren, Sie haben die Wirtin der Sängerin mit dieser letzteren verwechselt. Madame Qualèche war früher eine sehr gesuchte Konzertsängerin, und ihre Tochter ist es noch. Die Dame wird als Anstandsdame der Mureni nach hier gekommen sein.“
Der Kapellmeister machte ein sehr betretenes Gesicht und versuchte, sich zu entschuldigen:
„Aber, Majestät, als ich auf dem Perron den Namen ‚Signora Mureni‘ laut rief, beschied mich diese Dame mit einem deutlichen ‚Hier‘ zu sich hin!“
„Ganz richtig und auch sehr erklärlich. Sie gehört zur Mureni, und ich denke mir, daß Ihr Verhalten nicht geeignet gewesen ist, das wunderliche Quiproquo aufzuklären.“
„Das mag sein. Wir haben sie eben ganz so behandelt, als ob sie die Erwartete sei.“
„Ja, ja! Und die gute Dame ist, wie ich mir auch habe sagen lassen, so denkbequem, daß es ihr gar nicht eingefallen ist, auf die Idee zu kommen, daß sie verwechselt wird.“
„Gott sei Dank! So sind also unsere Sorgen glücklicherweise umsonst gewesen. Diese korpulente Person konnte doch unmöglich vor einem so ausgewählten Publikum singen!“
„Nein“, lächelte Wagner
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