66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
sie erwartet hatten, zu dem König, sondern zu dem Pfarrer, welcher sie höchst wohlwollend aufnahm und ihnen die Sitze anwies. Er wendete sich an Leni:
„Du weißt wohl, liebes Kind, daß ich stets eine aufrichtige Teilnahme für dich gehabt habe. Der Grund dazu lag einesteils in dem Umstand, daß du ein Waisenkind warst und andernteils in deinem fortwährenden Wohlverhalten, durch welches du dir die Achtung aller reichlich verdient hast. Ich habe deinen Entwicklungsgang scharf beobachtet. Ich kannte die Gaben, welche der Herrgott dir verliehen hat, ohne daß du es ahntest. Es sind reiche, aber auch gefährliche Gaben, an denen bereits manches Menschenkind zugrunde gegangen ist. Darum und weil es hier keine Gelegenheit zur Ausbildung derselben gab, schwieg ich darüber und hütete mich, dich darauf aufmerksam zu machen. Ich war der Meinung, daß das Weib eines braven Älplers ebenso glücklich sein und wenigstens ebenso Gott zur Ehre leben könne wie eine Künstlerin, welcher sich die Versuchung und Verführung auf Schritt und Tritt entgegenstellen. Diese meine Meinung ist jetzt nicht mehr begründet. Es ist ein anderer, welcher mächtiger ist, als ich es bin, auf dich aufmerksam geworden, und er ist bereit, die herrlichen Gaben, welche du besitzt, zur Ausbildung und Reife zu bringen. Du stehst heut vor einem hochwichtigen Wendepunkte deines Lebens, und wir wollen bitten, daß die Entscheidung, welche du triffst, dir zum Heil und auch andern zum Segen gereiche!“
Er hielt inne. Das klang so feierlich, daß es Leni noch banger werden wollte, als es ihr heut so schon war. Er fixierte sie mit seinem Blick und fragte sodann:
„Weißt du, welche Gabe ich meine?“
„Nein, geistlicher Herr.“
„So hast du noch gar nicht gehört, daß du für die beste Jodlerin weit und breit giltst?“
„Das hab ich schon bereits oft gehört, aber ich glaub es halt nicht.“
„Du kannst es getrost glauben; es ist wahr, der Herrgott hat dir einen Reichtum in deine Kehle gelegt, welcher unschätzbar ist. Er ist derselbe Reichtum, welchen Schiller meint, wenn er von dem gottbegnadeten Sänger Ibykus singt:
‚Ihm schenkte des Gesanges Gabe.
Der Lieder süßen Mund Apoll.
So wandert er am leichten Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.‘
Hast du schon einmal eine Sängerin gesehen?“
„Ja.“
„Wo?“
„Drin in der Stadt zum Jahrmarkt. Da war eine Gesellschaft hier, die spielten und sangen, und war auch ein Dirndl dabei, die konnt's sogar sehr schön.“
„Hm!“ lächelte der Pfarrer. „Was sang sie denn?“
„Sie hat gesungen:
‚Der Hahn kräht schon in aller Früh
Der Henne vor sein Kikriki.
Wann sich der Frühling melden läßt.
So singt das Schwalberl in sein' Nest.
Sogar der dumme Gimpel schreit
Von Liebesgram und Liebesleid.‘“
„Nun, das ist denn doch nichts gar Besonderes!“
„Sodann hat sie auch gesungen:
‚Blickt der Jüngling nur die Jungfrau an.
Gleich fängt das Herz zu pinken an!‘“
„Auch das ist nichts Bewundernswertes. Dieses Mädchen ist eben keine richtige Sängerin gewesen. Du wirst wohl noch keine gehört haben. So eine, wie ich meine, die singt nur vor dem Kaiser und König, vor Fürsten und Grafen und verdient sich viele Tausende im Jahr.“
„Herrgottle!“
„Himmelsakra!“ entfuhr es dem Wurzelsepp.
„Sie singt im Hoftheater, wo alle hohen Herrschaften auf ihren Gesang lauschen. Und wenn die Sorgen den König quälen, dann geht sie zu ihm und singt ihm aus einem Kunstwerk vor, wie David vor Saul gesungen hat, um die Geister des Leides zu vertreiben. Möchtest du das nicht auch?“
„Vor dem König? Warum nicht?“
„Und würdest dich nicht fürchten vor ihm?“
„Ich begreif nicht, warum ich mich fürchten sollt. Er würd mich schon nicht beißen. Er mag herbeikommen auf meine Alm; da will ich ihm vorsingen, soviel er begehrt.“
„Er hat keine Zeit, zu dir zu kommen; aber er hat gehört, welch eine herrliche Stimme du besitzt, und will dich zu einem berühmten Lehrer des Gesangs tun, welcher dich ausbilden soll, damit du eine berühmte Künstlerin werden magst.“
„Mich ausbilden? Ich kann's ja schon!“
„Wohl kaum!“ lächelte er.
„Na, ich brauch doch nur den Mund aufzumachen, so kommt es heraus!“
„Das ist kein künstlerischer, sondern ein roher Gesang. Du kannst ja sogar die Noten nur soweit, als es für den Festgesang hier in der Kirche erforderlich ist, wo du allerdings stets meine beste Sängerin warst. Also der König läßt dich fragen,
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